Print Friendly, PDF & Email
Warren Bennis, Universitätsprofessor zuletzt an der USC (University of Southern California), Berater US-amerikanischer Präsidenten (JFK und Ronald Reagan). Foto von Bruce Jackson.

Die vier Schlüsselstrategien

Warren Bennis (1925 – 2014), der Altvater der Leadership-Theorie hat mit 90 Spitzenführungskräfte (Top-Manager) der USA eine legendäre empirische Studie durchgeführt, um die Geheimnisse ihres Führungserfolgs herauszudestillieren. Er hat diese Führungskräfte in ihrem Führungsalltag begleitet und Interviews mit ihnen geführt. Die Ergebnisse hat er 1985 in einem Buch „Leaders“ gemeinsam mit Burt Nanus zusammengefasst und mit vielen Beispielen illustriert. Das Buch gehört (laut Financial Times) zu den 50 einflussreichsten Führungs- / Management-Büchern ever.

Inzwischen ist einige Zeit verstrichen und sich seither sehr viel verändert. Die Situation der Führungskräfte wurde nicht leichter, im Gegenteil.

Und auch wenn amerikanischen Führungskräfte sich von Führungskräften im deutschsprachigen Raum in vielen Dingen unterscheiden, so sind in dieser Studie Ergebnisse enthalten, die meiner Meinung nach Raum und Zeit überdauern und es wert machen, sich diesen Klassiker wieder in Erinnerung zu rufen. Natürlich sind die Prinzipien an die jeweilige Situation anzupassen, vor allem auch deswegen, weil sich ja die Autoren auf das Top Management beschränkt hat.

Im Zentrum ihres Buches beschreiben die Autoren vier Schlüsselstrategien der Führung, die sich auch in neueren Führungsansätzen zum Teil wiederfinden und dort neue „Kleider“ bekommen haben.

1. Vision

Eine Führungskraft sollte für den eigenen Führungsbereich eine passende und mitreißende Vision entwickeln: ein Bild der Zukunft, das emotional geladen ist und das bei den Mitarbeitenden und anderen Stakeholdern Leidenschaft freisetzt und das sie als umsetzbar empfinden:

  • Wo wollen wir in 5 Jahren stehen?
  • Was soll da anders sei?
  • Was wollen wir neu aufbauen?
  • Wovon wollen wir uns trennen?

Das Bild sollte nicht nur intellektuell beschreibbar, sondern als inneres visuelles Bild vorstellbar und erlebbar sein.

Visonen ergänzen die Mission eines Unternehmens, d. h., die Beschreibung des Sinns und Zwecks einer Organisation.

Die Entwicklung inspirierender Visionen wie sie von Bennis beschrieben werden, sind vor für die Unternehmensspitze wichtig. In vereinfachter Form sollte jedoch jede Führungskraft motivierende Bilder der Zukunft der eigenen Organisationseinheit entwickeln.

2. Sinn und Kommunikation

Die Vision sollte den Organisationsmitgliedern (und anderen Interessensgruppen) Sinn vermitteln. Das geht nur durch Kommunikation. Ausreichend und viel kommunizieren ist das Um und Auf der Führungstätigkeit. Dann bekommt die Vision eine Bedeutung für alle Betroffenen.

3. Vertrauen

Die Führungskraft sollte bei allen Betroffenen Vertrauen erwerben. Das geschieht laut Bennis und Nanus durch eine klare Position. Jede/r sollte wissen, wofür die Führungskraft steht, welche Position sie einnimmt. Diese Position sollte glaubhaft sein.

4. Entfaltung der Persönlichkeit

Die Führungskraft sollte bereit sein, ihre eigene und die Persönlichkeit der Mitarbeitenden laufend weiterzuentwickeln – in Richtung zu einer erhöhten Selbstwertschätzung aller. Vor allem die Wertschätzung der Führungskraft für die Mitarbeitenden sollte höher sein als die Wertschätzung der Einzelnen für sich selbst (Selbstwertschätzung). Das führt zu einer „selbsterfüllenden Prophezeiung“, die die Selbstwertschätzung aller erhöht.

 

Entwicklung einer Führungskraft

Die eigene Entwicklung der Führungskraft ist eine der Schlüsselstrategien von Bennis und Nanus.

Bennis war die Meinung, dass die Weiterentwicklung von Führungskräften nicht primär durch Managemententwicklungsprogramme erfolgt, sondern durch die Bewältigung und Reflexion kritischer (Führungs-)Ereignisse. Schwierige, kritische, ‚formende‘ Ereignisse (“crucible moments”) lassen uns Feuerproben bestehen und können ein Schmelztiegel für die Entwicklung der eigenen Führungspersönlichkeit sein. Das entspricht dem, was man heutzutage auch unter dem Thema „Entwicklung außerhalb der Komfortzone“ diskutiert. Voraussetzung dafür ist vor allem Aufmerksamkeit und eine regelmäßige Reflexion der Führungs-Ereignisse.

„Die meisten von uns erleben nicht regelmäßig kritsche Momente – was wahrscheinlich eine gute Sache ist, da diese Ereignisse anstrengend und störend sein können!1 Wie kann man ohne Schmelztiegel seine eigene Entwicklung als Führungskraft katalysieren?

Kurz gesagt, die Antwort liegt darin, aufmerksam zu sein. Damit Lernen und Entwicklung stattfinden können, müssen wir regelmäßig inmitten des Wirbels des täglichen Lebens pausieren, um nachzudenken und zu überlegen:

  • Was ist los?
  • Warum passiert das?
  • Welche Änderungen kann ich vornehmen, um meine gewünschten Ergebnisse zu erzielen?“

Warren Bennis2

Ein nützliches Tool für diese Reflexionen gibt das Führungsdreieck.

Das Führungsdreieck

Es gibt im Führungsbereich zahlreiche Dreiecke. Ein aus meiner Sicht sehr brauchbares hat Mark Nevins3 formuliert.4

Dieses Führungsdreieck umfasst 3 Elemente: Ziele / Goals, Ich / Self, Andere / Others

A) Ziele / Goals:

Jede Führungskraft sollte sich intensiv mit ihren Zielen in allen Bereichen und allen Konkretisierungsstufen auseinandersetzen,

  • von konkreten Leistungszielen, die die Führungskraft für ihren Verantwortungsbereich vereinbart hat oder die ihr vorgegeben wurden bis zu
  • visionären Zielen bzw. Zielen zur Umsetzung der Vision für den eigenen Führungsbereich.
  • Von kurz- zu langfristigen Zielen.
  • Von (inkrementellen oder radikalen Innovationszielen5)
  • bis zu Entwicklungszielen für alle.

Nevins betont vor allem die Veränderungsziele: Was soll sich in nächster Zeit oder auch längerfristig ändern? Bennis betont, dass es diese Veränderungen sind, die „echte Führungskräfte“ („leaders“) verlangen“, Führungskräfte, die auch alle zwischenmenschlichen Prozesse beeinflussen und in die gewünschte Richtung lenken können. Einige wenige Veränderungsziele für die nächsten 12 – 18 Monate, die sehr spezifisch und priorisiert sind, sollten im Zentrum stehen. Diese Ziele können sich auch auf Projekte beziehen, auf die eigene aktuelle Rolle und die eigene Karriere. Auch langfristige Lebensziele können eine wichtige Rolle spielen. Über die Ziele klar zu sein ist ein Merkmal erfolgreicher Führungskräfte.

Fragen, die die Beziehung der Ziele zu den anderen beiden Punkten des Führungsdreiecks definieren, sind z. B:

  • Bei welchen Zielen engagiere ich mich selbst und was delegiere ich (bzw. wo befähige ich andere, diese Ziele zu erreichen)?
  • Welche Ziele sind für welche Stakeholder wie wichtig? Und warum sind sie so wichtig?
  • Welche Ziele bzw. die mit ihnen verbundenen Aufgaben schaffe ich selbständig? Wo brauche ich die Ressourcen, Erfahrungen, Einstellungen, Perspektiven, … von anderen Personem?
B) Die Anderen / Stakeholder / Others

Als Führungskraft erreiche ich die Ziele mit und durch Andere, vor allem auch Mitarbeitende, und das Team, aber auch ihre Chefs, ihre Kollegen, ihre Kunden, ihre Schnittstellenpartner, … . Idealerweise sollten alle an einem Strang ziehen, d. h., die anderen teilen meine Ziele (und die dahinterstehenden Werte) bzw. unterstützen sie. Führen ist definiert als bewusste und zielbezogene Beeinflussung.6 Ihre Aufgabe als Führungskraft ist es, die Anderen in Hinblick auf gemeinsame Ziele zu beeinflussen und sich, wo nötig oder sinnvoll, beeinflussen zu lassen.

Um das zu erreichen, ist es wichtig zu lernen und zu verstehen, wie Andere mich erleben. welches (Fremd-)Bild sie von mir haben. Sind die Anderen der Meinung und haben sie das Gefühl,

  • dass sie mit mir offen kommunizieren können
  • dass ich offen und ehrlich mit ihnen umgehe,
  • dass ich ihnen zuhöre und versuche, sie zu verstehen,
  • dass ich mich um ihre Anliegen kümmere,
  • dass ich ihre Entwicklung unterstütze, wenn ich für sie verantwortlich bin?
C) Ich / Self

Der dritte Punkt im Führungsdreieck bin ich selbst, das eigene Selbst, die eigene Persönlichkeit. Wer sich selbst nicht kennt, erhöht die Gefahr,

  • eigene Probleme auf Andere zu projizieren,
  • sich nicht weiterzuentwickeln oder sich auszupowern,
  • sich für die Organisation oder für andere bis zum Burnout aufzuopfern,
  • von seinen Stimmungen und Emotionen übermannt zu werden
  • usw.
    Diese Personen werden es als Führungskraft sehr schwer haben.

Wichtige Aufgaben einer Führungskraft an diesem Punkt des Führungsdreiecks sind daher u. a. sich persönlich auf einer tieferen Basis kennenzulernen und sich weiterzuentwickeln, Zeit für Selbstreflexion zu finden, für sich selbst zu sorgen, Selbstwertschätzung und Selbstbewusstsein zu entwickeln. Wichtige Themen auf der persönlichen Ebene sind daher für Führungskräfte:

  • Selbsterkenntnis7 und Selbstreflexion
  • Selbstentwicklung
  • Selbstfürsorge
  • Selbstwertschätzung
  • Selbstbewusstsein, Ich-Stärke

Wer diese Themen unberücksichtigt lässt, wird es auch bei den anderen beiden Punkten schwer haben zu reüssieren.

Interpretation der 4 Schlüsselstrategien aus der Sicht des Führungsdreiecks.

Ziele / Goals

Die Vision, das erste Element, ist die abstrakte Zielformulierung in der Vision.

Mitarbeitende

Sinn / Kommunikation und Vertrauen gehören zur Position der Anderen / Mitarbeitenden / Shareholder.

Links und Literatur

Warren Bennis

Warren Bennis, Burt Nanus: Führungskräfte. Die vier Schlüsselstratgien erfolgreichen Führun.g Campus. Frankfurt / New York. 1985.

Original: Warren Bennis, Burt Nanus: Leaders. The Strategies for Taking Charge. Harper Collins. 2nd. ed. 2012. (1-1985)

Warren Bennis: On becoming a leader. Hachette UK, 2009.

Mark Nevins: You Need A Leadership Triangle. Aus: www.forbes.com. 29. 3. 2023. https://www.forbes.com/sites/hillennevins/2022/03/29/you-need-a-leadership-triangle/.

 

Ambidextrie: Exploration (Erkundung, Erforschung) und Exploition (Verwertung, Ausbeutung, Nutzung)

Wolfgang H. Güttel: Führung und Wandel des Leistungskerns von Organisationen. In: Austrian Management Review. Vol. 7. 2017, S. 9 – 31. Aus: www.tuwien.at.  https://www.tuwien.at/fileadmin/ACE/ACE_Allgemein/Austrian_Management_Review/Volume_7/Fu__hrung-und-Wandel-des-Leistungskerns-von-Organisationen_Gu__ttel.pdf.

Thomas Schumacher, Rudolf Wimmer: Gleichzeitig optimieren und neu erfinden?. Zum produktiven Miteinander von Innovationslabs und etablierten Unternehmen. In: osb-i Reader 2019. Aktuelle Artikel und Buchbeiträge der Beraterinnen und Berater der osb international.
S. 51 – 59. Aus:www.osb-i.com. https://www.osb-i.com/fileadmin/user_upload/osb_Reader_2019_Web.pdf#page=48.

March, J. G. (1991). Exploration and Exploitation in organizational
Learning. Organization Science, 2(1), S. 71—87.

Wolfgang Arthur Marko: Innovationsfähigkeit und organisationale Ambidextrie. Eine Untersuchung produzierender Unternehmen der österreichischen Photovoltaik-Industrie.
Dissertation. Technischen Universität Graz. Graz, 15. Juli 2014. https://diglib.tugraz.at/download.php?id=5f9019e6a335f&location=browse.

Michael Stephan, Wolfgang Kerber (Hrsg.): „Ambidextrie“: Der unternehmerische Drahtseilakt zwischen Ressourcenexploration und -exploitation. Jahrbuch Strategisches Kompetenz-Management, Band 4. (e-book pdf). Rainer Hampp Verlag, München u. Mering. 2010. Aus: content.e-bookshelf.de. https://content.e-bookshelf.de/media/reading/L-33844-9930facada.pdf.

 

Führungsdreieck

Mark Nevins: You Need A Leadership Triangle. Aus: www.forbes.com. 29. 3. 2023. https://www.forbes.com/sites/hillennevins/2022/03/29/you-need-a-leadership-triangle/.

Julia Knetzger: Führen wie St. Benedikt?. Mönchische Führungsprinzipien für die Wirtschaft. Tectum Verlag Marburg, 2010. Aus: api.pageplace.de. https://api.pageplace.de/preview/DT0400.9783828853072_A18851687/preview-9783828853072_A18851687.pdf. preview S. 1 – 23.

Rainer W. Stroebe, Grundlagen der Führung. Kap. 1.:  Was ist führen? Leseprobe aus www.lindeverlag.at. https://www.lindeverlag.at/buch/das-fuehrungsseminar-4427/e/leseprobe/E00013.pdf.

Frankfurter Gruppe: Leadership-Führungsdreieck. Aus frankfurter-gruppe.de. https://frankfurter-gruppe.de/dynamic-change/fuehrung-entwickeln/leadership-fuehrungsdreieck/.

Alexander Schieffer(1998). Führung. Theorien über Führung und Führertypen. In: Führungspersönlichkeit. Neue betriebswirtschaftliche Forschung, vol 244. Gabler Verlag, Wiesbaden. Aus: link.springer.com. https://doi.org/10.1007/978-3-322-94609-6_2.

8

  1.   In unserer Zeit werden sie weitaus häufiger vorkommen als in Zeiten, in denen Bennis das formuliert hat.
  2.   interpretiert von Mark Nevins: You Need A Leadership Triangle. übersetzt und leicht abgewandelt.
  3.    Mark Nevins: You Need A Leadership Triangle. Die mögliche Hintergrundquelle ist mir nicht bekannt.
  4.   Das Führungsdreieck kann als Abwandlung des „TZI-Dreiecks“ (Themenzentrierte Interaktion, Ruth Cohn interpretiert werden.
  5. Ambidextrie: Exploration und Exploitation bzw. kurzfristige Effizienz und langfristige Effektivität – Vgl.  Thomas Schumacher, Rudolf Wimmer: Gleichzeitig optimieren und neu erfinden?. March, J. G. (1991). Exploration and Exploitation in organizational Learning. 
  6.  
  7. Vgl. den Spruch von Sokrates am Eingang zum Tempel von Delphi: „Erkenne dich selbst.
  8.   Exkurs: Führungsdreieck von Neuberger

    https://encrypted-tbn0.gstatic.com/images?q=tbn:ANd9GcTsw3daBTGDy2L3fW8pQgHOmxJgFzblXAWQf9RpqQWxkA&s

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert