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Konzept-Blog1

Was sind Sozial-Interventionen und wozu braucht man sie?

Sozialintervention mit Beteiligung der Betroffenen

Interventionen2 3sind Eingriffe / Einflussnahmen (mit externer Unterstützung) zur Veränderung von Systemen und deren relevantes Umfeld (Kontext). Unternehmen sind (auch) soziale Systeme, in denen Personen, Teams und Teil-Organisationen miteinander (und gegeneinander) interagiert. In der Dynamik des Unternehmensgeschehens geraten diese sozialen Systeme in ein Ungleichgewicht, z. B.

  • die Kooperation ist ineffizient.
  • Konflikte entstehen und werden vermieden oder offen ausgetragen.
  • Informationen werden zurückgehalten.
  • Mitarbeiter_innen und Führungskräfte werden (sozial oder informationell) isoliert.
  • Verantwortungsbereiche und Kompetenzen klaffen auseinander.
  • Führungskräfte kommen ihren Führungsaufgaben nicht nach.
  • Führungskräfte werden overruled. Chefs auf höheren Hierarchie-Ebenen geben direkte Anweisungen an die Basis.
  • Spannungen entstehen und sind nicht klar lokalisierbar.
  • eine gemeinsame Vertrauensbasis kann nicht aufgebaut werden. Misstrauen herrscht vor.

Es ist Aufgabe der Führungskräfte und vor allem des Managements, das verlorene Gleichgewicht des sozialen Systems wieder auszublancieren, um für die Mitarbeiter_innen auf allen Ebenen  Rahmenbedienungen zu garantieren, die optimale Leistungserbringung ermöglichen.

Hilfe von außen, neutrale Dritte

Sozialintervention mit dem ToC-Ansatz (Theory of Change)

Alle Maßnahmen, die versuchen, Änderungen im sozialen System ‚Unternehmen‘ herbeizuführen, sind soziale Interventionen. Leider haben nur wenige Führungskräfte die Ausbildung und die Fähigkeiten, um solche Maßnahmen systematisch und professionell zu planen und umzusetzen. Ihre Professionalität liegt meist in betriebswirtschaftlichen, technischen und juristischen Bereichen, nicht in verhaltenswissenschaftlichen / sozialpsychologischen Gebieten. Die HR ist häufig überlastet, oft sehr jurisitsch geprägt und in ihren Einflussmöglichkeiten sehr beschränkt. Die PE (Personalentwicklung – wo diese Kompetenzen am ehesten zu vermuten sind) drastisch unterbesetzt und häufig administrativ überlastet, die OE (Organisationsentwicklung) gar nicht existent.4

Isolierte Einzelmaßnahmen und unprofessionelle Vorgangsweisen sind die Folge. Nicht selten verstärken sie die Probleme5, als dass sie echte Lösungen herbeiführen. Unterstützung von außen ist notwendig, wird aber oft zu lange hinausgezögert – bis die Probleme eskalieren.

Was gehört zu den Tools der Sozial-Interventionen

  • Orientierungs- und Klärungs-Gespräche mit den Auftraggebern
  • Planungs- und Entscheidungs-Gespräche mit Auftraggebern und Steuer-Gruppen (Lenkungs-Ausschuss, steering committee)
  • Ankündigungs-Gespräche (-Veranstaltungen)
  • Diagnose-Interviews mit Betroffenen (mit unterschiedlichen Formen von Interviews)
  • Team- und Gruppen-Diagnose-Grespräche
  • Rückmeldungs-Gespräche an Führungskräfte und das Management.
  • Survey-Feedback-Gespräche an Betroffene
  • Mediations-Gespräche – face to face und im Team / in der Gruppe
  • Peer-Gespräche
  • Planungs-Gespräche mit Betroffenen (Rollierende Planung)
  • Linking-Pin Gespräche
  • Methoden der Problem- und Konflikt-Moderation
  • Visionsentwicklungs-Maßnahmen
  • Mission-Statement-Meetings
  • Coaching-Gespräche auf allen Ebenen

Die Kunst besteht darin, für konkrete Probleme eine passende Architektur der Maßnahmen und den dazu passenden Prozess zu designen und auszurollen.

Prozess

In einer sehr globalen Sichtweise sind zumindest zwei große Phasen von professionellen Interventions-Prozessen zu unterscheiden:

  • Diagnose-Prozesse (Diagnoseprozesse sind bereits Interventionen, sie verändern das soziale System – verallgemeinertes Heisenberg-Phänomen)
  • Entwicklungs- und Veränderungs-Prozesse (Interventionen im engeren Sinn)

Rollierende Planung

Eine grobe Gesamtplanung und eine rollierende Detail-Planung ist bei Sozial-Interventionen sinnvoll. Das heißt, innerhalb eines groben Rahmens (Gesamtplan) werden die einzelnen Schritte je nach Ergebnis der vorigen Phase geplant. Ohne genauere Kenntnis, wie und wo die Probleme bei den Betroffenen gesehen und erlebt werden, ist es nicht sinnvoll, eine detaillierte Gesamtplanung vorzunehmen. Auch der Umfang des Gesamtprojekts sollte eine gewisse Flexibilität haben. In manchen Situationen kann der Gesamt-Prozess wesentlich verkürzt werden, als bei den ursprünglichen Planungs-Gesprächen zu erwarten war, manchmal ist wesentlich mehr notwendig, um nachhaltige Lösungen zu finden und umzusetzen.

Intervention theory

Eine sozialwissenschaftliche Interventions-Theorie für Unternehmen hat im deutschsprachigen Raum fast keine Tradition.6. Interventionstheorien stellten sich dem Anspruch, die Wirksamkeit von Interventionen in Bezug auf gewünschte Ergebnisse / Ziele zu erklären und Hilfen für Interventions-Entscheidungen zu liefern.7

Chris Argyris entwickelte eine Interventions-Theorie im Rahmen der Organisations-Entwicklung, vor allem um Commitment zu den entwickelten Lösungen und Verantwortlichkeit für deren Umsetzung zu erreichen.8

Konflikt-Interventionen

Sozial-Interventionen in Unternehmen sind häufig mit Konflikten konfrontiert. Insofern beinhalten Sozial-Interventionen häufig auch Konflikt-Interventionen und müssen in das globale Interventions-Konzept integriert werden. Selbst bei neutralen Ausgangspunkten des Prozesses, z. B. Teambuilding-Veranstaltungen, ist davon auszugehen, dass häufig aktuelle Spannungen  („Zwickerl“) sichtbar werden, manchmal auch alte ‚unverdaute‘ Konflikte unter der Oberfläche entdeckt werden. In Konfliktbearbeitungs-Phasen einer Sozial-Intervention kommen die Regeln und Methodiken der Konflikt-Moderation zur Anwendung.9 10

Hintergrund-Konzepte

Die Sozial-Interventionen haben in der Regel einen sozialwissenschaftlichen Hintergrund. Der derzeitige Markt umfasst u.a.

  • systemische Organisations- und Beratungs-Konzepte
  • Organisationsentwicklung
  • Humanistische Psychologie
  • (individual-)therapeutische Ansätze (z. B. Gestalt-Psychologie und -Therapie)
  • familien-therapeutische Ansätze und Aufstellungsarbeit
  • Ansätze der Sozialpädagogik und Sozialarbeit (z. B. rekonstruktive Sozialpädagogik11)
  • Integrativer Ressourcentheorie12

Sozialwissenschaftliche Theorien

Ein ganze Reihe sozialwissenschaftlicher Theorien können Soziale Interventionen auf eine wissenschaftliche Basis stellen

Querverweise

Paradoxe Intervention.

 

Links und Literatur

Chris Argyris: Intervention Theory and Method. A Behavioral Science View (Addison-Wesley series in social science and administration), Addison-Wesley, 1973. (1-1970)

Edward M. Bennett (Ed.): Studies in health and human services, Vol. 11. Social intervention: Theory and practice. Edwin Mellen Press. 1987. Aus: psycnet.apa.org. https://psycnet.apa.org/record/2007-08919-001.

Margaret C. KielyReview of Social intervention. Theory and practice [Review of the book Social intervention: Theory and practice, by E. M. Bennett, Eds.]. Canadian Psychology/Psychologie canadienne, 31(4), 381–382. https://doi.org/10.1037/h0084406. Aus: psycnet.apa.org. 1990. https://psycnet.apa.org/record/2007-08919-001.

Hilarion G. Petzold: Das Ressourcenkonzept in der sozialinterventiven Praxeologie und Systemberatung. Aus: FPI-Publikation. Polyloge. 12/2012. https://www.fpi-publikation.de/polyloge/12-2012-petzold-h-g-das-ressourcenkonzept-in-der-sozialinterventiven-praxeologie-und/. (pdf)

Bernd-Thomas Ramp: Intervention. In: wirtschfaftslexikon.gabler.de. https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/intervention-40569.

Gerhard Schwarz: Konfliktmanagement. Konflikte erkennen, analysieren, lösen. Springer-Verlag, 2012. (1-1990, 2-1995, 7-2005)

Christian Lüders: Das Programm der rekonstruktiven Sozialpädagogik. Eine Kritik seiner Prämissen und Anmerkungen zu einigen Unterschieden zwischen sozialpädagogischem Handeln und Forschen. In:
Reinhard Fatke, Walter Hornstein, Christian Lüders, Michael Winkler (Hrsg.): Erziehung und sozialer Wandel. Brennpunkte sozialpädagogischer Forschung, Theoriebildung und Praxis. Zeitschrift für Pädagogik. 39.Beiheft. Beltz Verlag. Weinheim und Basel. 1999. https://www.pedocs.de/volltexte/2014/9388/pdf/Lueders_1999_Das_Programm_der_rekonstruktiven_Sozialpaedagogik.pdf.

Edgar H. Schein: Process Consultation. Its role in organization development. Addison-Wesley, 1988. (1-1969).
dt.: Prozessberatung für die Organisation der Zukunft. Der Aufbau einer helfenden Beziehung, Ed. Humanistische Psychologie. 2010.

Paul Watzlawick: Anleitung zum Unglücklichsein. Piper Verlag, 2010.

o. A.: Intervention theory. Aus: en.wikipedia.org. https://en.wikipedia.org/wiki/Intervention_theory#cite_ref-2.

Sigl, Parti, Prechtl: Die Sozialinervention der Bartberg Beratung. Aus: land-oberoesterreich.gv.at. https://www.land-oberoesterreich.gv.at/Mediendateien/LK/Anhang_Sigl_3_7.pdf.

Wolfgnag Frindte: Soziale Konstruktionen. Sozialpsychologische Vorlesungen. Springer-Verlag 2013.

 

William F. Whyte: participatory action research methodology

(Dieser Ansatz ist besonders geeignet, die Wirkung sozialer Interventionen zu diagnostizieren / zu verstehen.13)

William F. Whyte: Social Inventions for Solving Human Problems. In: American Sociological Review, 47 (1982), S. 1-13. Aus: www.asanet.org. https://www.asanet.org/sites/default/files/savvy/images/asa/docs/pdf/1981%20Presidential%20Address%20(William%20Foote%20Whyte).pdf. . (full text). (Sozialinterventionen in der Soziologie14 Whyte war US-amerikanischer  (Industrie-)Soziologe, Ethnologe, „gang sociologist“ („street corner society„) und Pionier der Methode der teilnehmenden Beobachtung in dieser Disziplin. )

John C. Ickis: William F. Whyte. Contributions to management. Journal of Business Research 67.7 (2014): 1493-1500.15 Aus: coek.info (kundoc). https://coek.info/pdf-william-f-whyte-contributions-to-management-.html. (full text)

William F. WhyteParticipant observer. An autobiography. Ithaca, NY: ILR Press. 1994. (full text)

  1.   Dieser Beitrag ist ein erstes Konzept, mit fehlenden Quellenangaben und Hintergrund-Informationen.
  2.   Es geht in diesem Beitrag um Sozial-Interventionen in Unternehmen / Organisationen, ausdrücklich nicht um gesellschaftliche Interventionen, (z. B. im Rahmen der sozialen Verantortung. Vgl. dazu z. B.  Sigl, Parti, Prechtl: Die Sozialinervention der Bartberg Beratung. ), auch nicht um pädagogische, therapeutische, … Interventionen
  3.   Vgl. auch den Beitrag zu paradoxen Interventionen.
  4.   Im anglo-amerkansichen Bereich gibt es nicht selten einen Organisationsbereich „personal and organizational development, im deutschsprachigen Bereich ist dies nicht üblich.
  5.   Das entspricht dem von Watzlawick besprochene Muster „Wenn die Lösung das Problem ist“. Vgl.  Paul Watzlawick: Anleitung zum Unglücklichsein.  
  6.   nur für Interventionen bei psychischen, familiären oder gesundheitlichen Problemen gibt es theoretische Ansätze
  7. „In social studies and social policy, intervention theory is the analysis of the decision making problems of intervening effectively in a situation in order to secure desired outcomes. Intervention theory addresses the question of when it is desirable not to intervene and when it is appropriate to do so. It also examines the effectiveness of different types of intervention. The term is used across a range of social and medical practices, including health care, child protection and law enforcement. It is also used in business studies.“
    o. A.: Intervention theory.

  8. „In Intervention Theory and Method Chris Argyris argues that in organization development, effective intervention depends on appropriate and useful knowledge that offers a range of clearly defined choices and that the target should be for as many people as possible to be committed to the option chosen and to feel responsibility for it. Overall, interventions should generate a situation in which actors believe that they are working to internal rather than external influences on decisions.“
    Chris Argyris: Intervention Theory and Method. (aus: o. A.: Intervention theory.)

  9.   Vgl. meinen Beitrag zur Konflikt-Moderation.  
  10.   Zur Konflikt-Intervention als Sozial-Intervention vgl. Gerhard Schwarz: Konfliktmanagement. , S. 29 ff.   
  11.   Vgl. Christian Lüders: Das Programm der rekonstruktiven Sozialpädagogik
  12.    Zur Integrativer Ressourcentheorie vgl. Hilarion G. Petzold: Das Ressourcenkonzept in der sozialinterventiven Praxeologie und Systemberatung 
  13.   Ein Erfahrungsbericht einer teilnehmenden Beobachtung in einer street corner gang gibt einen Eindruck von dieser Methode:

    „At the alley that night, I was fascinated and a bit awed by what I had witnessed. Here was the social structure in action right on the bowling alleys. It held the individual members in their places—and me along with them. I did not stop to reason then that, as a close friend of Pecci, Frank, and Gillo, I held a position that was close to the top of the gang and therefore was expected to excel. I simply felt myself buoyed up by the situation. My friends were for me, had confidence in me, believed I would bowl well. I felt supremely confident. I have never felt quite that way before—or since. I was feeling the impact of the group structure upon me. It was a strange feeling, as if something larger than myself was controlling the ball as I went through my swing and released it toward the pins. And hen I won the prize money! …
    Even as I was learning the power of the group structure, I could not restrain my impulse to gloat over my triumph. I claimed I had really become a good bowler an would not give the group credit for my victory.“
    As I later thought about the bowling contest, I became convinced I had discovered something important: the relationship between individual performance and group structure. I believed then (and still believe now) that this relationship can be observed in all manner of group activities. I believed then (and still believe now) hat this relationship can be observed in all manner of group activities.

    William F. WhyteParticipant observer. p. 83 f. (zum Teil auch zitiert in John C. Ickis: William F. Whyte. und wikiquote.)

  14.   „The paper proposes reorienting sociology so as to give special attention to the discovery, description, and evaluation of social inventions.“ – S. 1.
  15.   Ickis über Whyte:

    „The name of William Foote Whyte is most frequently associated with Street Corner Society, the sociological study of life in Boston’s North End during the late 1930s, but his research spanned another sixty years in a range of settings on three continents. This article traces his achievements over the decades, as he developed and applied a participatory action research methodology in the kitchens of Chicago restaurants, the oilfields of Oklahoma and Venezuela, subsistence farms in Peru and Guatemala, and industrial cooperatives in the Basque region of Spain. It describes how this methodology, grounded in case research, led to social change at the “Tremont Hotel” in a Midwestern city. It questions why his achievements have not received greater recognition among by academicians and practitioners, perhaps because his ideas and findings on social change produced discomfort among peers and the sponsors of his research.“
    John C. IckisWilliam F. Whyte.
    (S. 1493)

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