Schnittstellen-Management und -Kommunikation
Die Schnittstellen-Kommunikation ist ein zentrales Element des Schnittstellen-Managements. Sehr viele Schnittstellen-Probleme entstehen, weil die beteiligten Organisations-Einheiten bzw. Personen zu wenig oder schlecht miteinander kommunizieren: Die zentralen Vorstellungen, Erwartungen, Enttäuschungen, … werden nicht besprochen, nicht ausgetauscht, wodurch beide Seiten die Probleme nur aus der Sicht der ‚eignen Brille‚ betrachten und die Ursachen für die Probleme der anderen Seite zugeordnet werden.
Schnittstellen-Gespräche sind das zentrale Element der Schnittstellen-Kommunikation. Das sind Gespräche in regelmäßigen Abständen zwischen den Schnittstellen-Verantwortlichen, in denen Erfahrungen ausgetauscht, Probleme besprochen und Vereinbarungen getroffen werden.
Ähnlich wie in der Führungs-Kommunikation sollte auch die Schnittstellen-Kommunikation nicht nur operative Gespräche mit kurzfristiger Orientierung sondern von Zeit zu Zeit auch Gespräche mit längerfristiger, strategischer Orientierung geführt werden. Dies können (jährliche) Schnittstellen-Orientierungsgespräche zwsichen den zentralen Verantwortlichen sein, ähnlich den Mitarbeiter-(orientierungs-)Gesprächen in der Führungs-Kommunikation. Dies sind Einzelgesprächen.
Bei wichtigen Schnittstellen ist es auch angebracht, dass jährlich oder bei Bedarf nicht nur Einzel-Gespräche sondern auch Schnittstellen-Meetings stattfinden. Schnittstellen-Moderation ist ein passendes Format dafür.
Siehe dazu auch meinen Blog-Beitrag: Schnittstellen-Moderation
Schnittstellen-Verantwortung
Wichtig ist auch, dass in den organisatorischen Teilbereichen geklärt ist, wer die Schnittstellen-Verantwortung hat. Meist ist dies die Führungskraft des jeweiligen Bereichs. In neuerer Zeit werden auch die Rollen des ‚Gatekeeper‚ und ‚Boundary Spanner‚ diskutiert. Das sind besondere Mitarbeiter*innen, die die Schnittstellen-Verantwortung übertragen bekommen.
Gatekeeper und Boundary Spanner
Aus dem Wissens- und Projekt-Management kennt man die Rolle des Gatekeepers. Dieser öffnet und bewacht die Wissens- bzw. Informations-Türen des jeweiligen organisatorischen Teilbereichs oder der Organisation als Ganzes und organisiert den Wissenstransfer – vor allem auch des personalisierten Wissens – zu internen und externen Stellen, vor allem zu den Schnittstellen. Er sorgt dafür, dass die betreffenden Stellen umfassend, auch informell informiert werden. Man könnte ihn fast als „Mr. Schnittstelle“ bezeichnen. Die Rolle muss jeweils konkret definiert erden. Wie weit diese Rolle gehen kann formuliert Thomas Sakschewski: 1
„Sehr allgemein kann ein Gatekeeper als eine Person beschrieben werden, die ein Informationsaustausch über eine informelle Kommunikation ermöglicht (Allen 1969). Tushman und Katz (1980) verweisen schon darauf, dass damit ein Gatekeeper ein bewusster Vermittler in einer Organisation darstellt, der Kontakte und Wissen zwischen einzelnen Gruppen innerhalb einer Organisation oder extern weitergibt. Für Walter R. Heinz umfasst Gatekeeping sogar alle „processes of interactions and selection by applying institutional standards to biographies. This is a two-way process which is not necessarily asymmetric“ (Heinz 1992. S. 11). Diese sehr weit gefasste Auffassung, die auf eine Vielzahl von Kommunikationssituationen sozialer Netzwerke übertragbar ist, muss zum besseren Verständnis der Rolle des Gatekeepers wieder eingeschränkt werden. Bettina Hollstein setzt hier mit Blick auf die Aktivierung von Netzwerkressourcen den Fokus auf institutionelle Gatekeeper, die als so genannte „Zugangswärter“ die Statusübergänge im Lebenslauf von Individuen begleiten, kontrollieren und gestalten. Dabei meint sie mit Statusübergänge, wiederkehrende Situationen im Lebenslauf, in denen sich die Muster der Zugehörigkeit des Individuums, seien es soziale Positionierung oder individuelle Ressourcenlage verändert (Hollstein 2007. S. 54). Dieses soziologische Verständnis von institutionellen Gatekeepern, also „Schlüsselpersonen mit Entscheidungsautorität in der Vermittlung von Individuum und Organisationen mit Bezug auf Institutionen“ (Struck 2001. S. 37) ist in der Hinsicht von Bedeutung, als dass damit nicht jegliche informelle Kommunikation zu einer Gelenkstelle wird, sondern nur besondere Übergangssituationen. Struck spricht hier von gesellschaftlichen Teilräumen, in denen eine kontrollierte Auswahl erfolgt. Die bewusste Besetzung dieser Rolle des Gatekeepers sowie die Informationsmacht des Zugangswärters sind der Begriffspräzisierung förderlich. Vergleichbar ist auch das soziologisch geprägte Bild der gesellschaftlichen Teilräume einerseits und des transistorischen Raumes zwischen dem abgeschlossenen Projekt und dem Übergang zu einem neuen Projekt andererseits, in dem dieselben Akteure, um eine gemeinsam gemachte Erfahrung reicher, eintreten.“
Vor allem aus dem Innovations-Management kennen wir die Rolle des Boundary Spanners: Er schafft die (Informations-)Brücken über die Grenzen der organisatorischen Teilbereiche, also zu den Schnittstellen. Die Teilbereiche sind oft wie Inseln mit ihren eigenen ‚Gesetzen‘ (Normen), ihrer eigenen Kultur, ihrem eigenen Bereichs-Leben. Gibt es keine Brücken, dann besteht die Gefahr von Entfremdung und Konflikten. Der Boundary Spanner versucht dem entgegenzuwirken. Die Grenze zum Gatekeeper ist fließend. Manche weisen darauf hin, dass sich das boundary spanning mehr auf die Schaffung von Möglichkeiten konzentriert, während das gatekeeping stärker das Kontrollieren des Informationsflusses beinhaltet, wozu auch gehört, die Mitglieder der Organisationseinheit vor einer Informationsüberflutung zu schützen. Manchmal wird auch zwischen informationellen und repräsentativen Boundary Spanner (auch Gatekeeper) unterschieden, wobei letztere auch repräsentative Aufgaben übernehmen.
Thomas Sakschewski diskutiert die Abgrenzung der beiden Rollen und ihre Verantwortung zur Überbrückung struktureller Löcher:1
„Aldrich und Herker (1977) betrachten Boundary-Spanner als Personen, die an den Schnittstellen von Organisationen sitzen und dort für sie wichtige Aufgaben erfüllen. Sie haben eine Brückenfunktionen, über Unternehmensgrenzen (Boundaries) hinweg und erlauben so die Informationsweitergabe durch diese Schnittstelle (Leifer und Delbecq 1978). Die Grenzen können dabei organisationsintern oder –extern sein. Boundary Spanner sind damit auch eindeutig zwischen einzelnen Abteilungen (Tushman u. Scanlan 1981) oder sogar abteilungsintern zwischen unterschiedlichen Gruppen (Ancona u. Caldwell 1992) denkbar. …
Mast (Mast 2006) verweist darauf, dass Boundary Spanner Mitglieder von Netzwerken mit Außenkontakt sind, also Informationsbeziehungen zur Umwelt pflegen und dabei als Gatekeeper agieren, da sie bestimmen Welche Informationen gesammelt und weitergeleitet werden. Gatekeeper seien hingegen die Netzwerk-Mitglieder, die den Kommunikationsfluss kontrollieren und die Informationsflut, die durch die Grenzsituation an der Schnittstelle zu anderen Netzwerken entsteht, eindämmen. Sie filtern also die Informationen und tragen damit auch das Risiko eines Informationsverlusts. …
Damit finden sich diese Akteure (Boundary Spanner und Gatekeeper) in einem komplexen Beziehungsgeflecht wieder, das ihnen hohe Handlungsspielräume, aber auch ein hohes Maß an Verantwortung auferlegt, diejenigen Akteure, die über weniger Ressourcenzugang verfügen, adäquat mit Wissen zu versorgen. Sie haben eine wichtige Funktion und können die Wissensaustausch über den Projektabschluss hinaus stärken. Dabei soll auch ihre Position für die Motivation zum Wissensaustausch beachtet werden. …
Burt entwickelt 1992 in seinem netzwerktheoretischen Ansatz zur Bedeutung der strukturellen Löcher ein Modell, der den Unterschied zwischen Macht als sozialem Einfluss und Macht als strukturelle Autonomie einbezog. Als strukturelle Löcher werden die Bereiche zwischen Netzwerken bezeichnet, die gar nicht oder nur nur wenige schwache Verbindungen (Weak Ties) in einer Beziehung zueinander stehen. Überbrückt werden können diese nur durch Boundary Spanner, die damit erst ermöglichen, dass Wissen zwischen sonst nicht miteinander verbundenen Gruppen fließt.“
Wirkung der Schnittstellen-Rollen
Die beiden Rollen des Boundary Spanner und des Gatekeeper bekräftigen ihre Wirksamkeit, weil sie archetypische Rollen darstellen, d. h. Rollen, die auch innere Anteilen entsprechen. Archeypische Rollen können innere Kräfte aktivieren, die dem Rollenträger nicht bewusst sind. Zu inneren Anteilen vgl. meine Blog-Beiträge zu den Archetypen, verlinkt in Archetypen2 und Übersicht über weibliche Archetypen3.
Querverweise
Harmonische Schnittstellen-Gestaltung – Der Goldene Schnitt.
Literatur und Links
Schnittstellen-Management
Klaus Brockhoff , Jürgen Hauschildt (1993) Schnittstellen-Management. Koordination ohne Hierarchie?. In: Zeitschrift für Organisation 6:396–403, – Google Scholar, Manuskripit in econstor.eu. manuskript_316.pdf. https://www.econstor.eu/bitstream/10419/181053/1/manuskript_316.pdf. (google books)
James D. Thompson: Organizations in Action. Social Science Bases of Administrative Theory. New Brunswick, New Jersey: Transaction Publishers. 2003 (1-1967 McGraw Hill)
(50th Aniiversary: A Reflection, ed. by Francesco Maria Barbini and Giovnni Masino)
(The Propositions of James D. Thompson aus nickols.us)
(Review by: Andrew B. Hargadon , Gerald Davis , Karl E. Weick. Administrative Science Quarterly, Vol. 48, No. 3 (Sep., 2003), pp. 498-509)
Beyer, Horst-Tilo: Geschäftsprozesse. Ablaufoptimierung: Aus: Beyer, Horst-Tilo (Hg.): Online-Lehrbuch BWL, Kap. 3. http://www.online-lehrbuch-bwl.de/lehrbuch/kap3/schnitt/schnitt.PDF
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Eva-Susanne Krah, Andrea Amerland: Die Trümpfe der Schnittstellenmanager. Aus springerprofessional.de. 26.05.2017
Conrad Matschoss: Die Maschinenfabrik R. Wolf Magdeburg-Buckau 1862-1912. Magdeburg 1912
Mintzberg, H., The Structuring of Organization, Englewood Cliffs 1979. (springer link) (full text)
Fred C. Lunenburg: Organizational Structure:Mintzberg’s Framework. International journal of Schorlarly, academic, intellectual, diversity. Volume 14, No. 1, 2012 (Summary zu Mintzberg)
Andreas Silber: Schnittstellenmanagement im CRM-Prozess des Industriegütervertriebs: Modellbasierte Analyse und Gestaltung der Verbesserungspotenziale. Springer-Verlag, 12.12.2007
Wren, D. A., Interface and Interorganizational Coordination, Academy of Management Journal (1967: 69-81). zit. in Mintzberg
Florian Hawranek: Schnittstellenmanagement bei M&A-Transaktionen.Springer-Verlag, 2013
Michael Greiling, Matthias Dudek: Schnittstellenmanagement in der integrierten Versorgung: Eine Analyse der Informations- und Dokumentationsabläufe. W. Kohlhammer Verlag, 2009
Claus Herbst: Interorganisationales Schnittstellenmanagement: ein Konzept zur Unterstützung des Managements von Transaktionen. Lang, 2002
Wolters Kluwer: Schnittstellenmanagement. Aus steuerlinks.de. http://www.steuerlinks.de/organisation/lexikon/schnittstellenmanagement.html.
Gatekeeper und Boundary Spanner
Thomas Sakschewski: Gatekeeper – Boundary Spanner. Aus: wissensstrukturplan.de. http://www.wissensstrukturplan.de/wissensstrukturplan/glossar/g_gatekeeper.php
Hartmut H. Holzmüller: Boundary Spanning als Instrument der Unternehmensführung. Präsentation. Universität Dortmund. http://www.novamille.ruhr-uni-bochum.de/imperia/md/content/aktuelles/dn_folien_workshop_1805.pdf
Tushman, Michael L (1977). Special Boundary Roles in the Innovation Process. Administrative Science Quarterly. 22 (4): 587–605. doi:10.2307/2392402.
Tushman, Michael / Katz, R. (1980): External Communication and Project Performance: An Investigation Into the Role of Gatekeepers. Management Science 26 (1980): 1071-1085.
Tushman, M. L. / Scanlan, T. J. (1981) :Boundary Spanning Individuals. Their Role in Information Transfer and their Antecedents. Academy of Management Journal, 24: 289-305
Matous, P.; Wang, P. (2019). External exposure, boundary-spanning, and opinion leadership in remote communities: A network experiment. Social Networks. 56: 10–22. doi:10.1016/j.socnet.2018.08.002.
Struck, Olaf (2001): Gatekeeping zwischen Individuum, Organisation und Institution. Zur Bedeutung der Analyse von Gatekeeping am Beispiel von übergängen im Lebensverlauf. In: Lutz Leisering, Rainer Müller & Karl F. Schumann (Hg.): Institutionen und Lebensläufe im Wandel. Institutionelle Regulierungen von Lebensläufen. Weinheim: Juventa, 29-55.
Aldrich, H., & Herker, D. (1977). Boundary spanning roles and organization structure. The Academy of Management Review, 2, 217-230.
Leifer, R./ Delbecq, A. (1978): Organizational/Environmental interchange: a model of boundary spanning activity. In: Academy of Management Review 3, S. 40-50.
Ancona, D. G. /Caldwell, D. F. (1992): Bridging the boundary: External activity and performance in organizational teams. Administrative Science Quarterly, 37, 634-665.
Burt, R. (1992): Structural Holes. Cambridge. MA: Harvard University Press.
Archetypen, innere Anteile
Thomas Frister: IFS Innere Anteile. (IFS – Internal Family Systems). in: praxis-frister.de. https://www.praxis-frister.de/psychotherapie/methoden/ifs-innere-anteile/.
Querverweise
Harmonische Schnittstellen-Gestaltung – Der Goldene Schnitt
- Thomas Sakschewski: Gatekeeper – Boundary Spanner. ↵
- Thomas Sakschewski: Gatekeeper – Boundary Spanner. ↵
- vgl. auch Thomas Frister: IFS Innere Anteile ↵