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Lernen und Entwicklung in Organisationen

Albrecht Dürer (1471 – 1521, der deutsche Maler als genialer Personalentwickler. Seine Werkstatt in der Nürnbrger Altstadt war gleichzeitig eine Schule. Aber Dürer nahm keine Schüler auf, sondern Gesellen. Es waren eigenständige Maler, die er frei nach ihren Potenzialen entwickeln ließ. Gemälde: Selbstbildnis. 1490. Galleria degli Uffizi. (Aus: Albrecht Dürer)

In allen Organisationen ist Lernen und Entwicklung ein wichtiges Thema. Es ist sowohl eine zentrale unternehmerische Funktion, die häufig von einer organisatorischen Einheit oder einem Funktionsträger (meist innerhalb der HR)  wahrgenommen wird. Sie ist aber auch und vor allem eine Führungsfunktion und damit Aufgabe jeder Führungskraft im Rahmen des Funktions-Clusters ‚Menschenführung‘ (Leadership, People Management). In seiner Bandbreite umfasst es

  • die Entwicklung von Mitarbeiter_innen, incl. Führungskräften, incl. das (Top-)Management incl. die Unternehmer_innen (Personalentwicklung – PE – im engeren Sinn, Führungskräfte-Entwicklung / Management Development)
  • die Entwicklung von Teams (Teamentwicklung – TE)
  • die Entwicklung von organisatorischen Einheiten (Abteilungen, Bereiche, …) und die gesamte Organisation (Organisations-Entwicklung – OE).

In manchen Unternehmen ist die OE ausgegliedert und einer eigenen organisatorischen Einheit zugeordnet, in anderen ist die PE in die OE eingegliedert (je nach Perspektive und Prioritätensetzung innerhalb des Funktionsbereichs ‚Lernen und Entwicklung‘). In Summe geht es darum, Lernen und Entwicklung bei Personen und sozialen Systemen (auf allen Aggregations-Stufen) zu ermöglichen und zu fördern.

PE in mittelständischen Unternehmen

Mittelständische Unternehmen haben oft eine Größe, in der die Organisations-Struktur noch nicht so differenziert ist, dass eine eigene PE (oft nicht einmal die HR) als Organisationseinheit oder auch als Funktionsträger etabliert ist. Dann gehört die PE als unternehmerische Funktion zu den Aufgaben der Unternehmer_innen. Dann ist aber auch die Etablierung der PE als Führungsaufgabe sehr wichtig, sonst droht die PE in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Da die  Menschen im Unternehmen zentrale Ressourcen darstellen, wäre es unklug und nicht im Sinne des unternehmerischen Denkens, dieses Potenzial unentwickelt und damit schlecht genützt zu lassen. Leider haben viele mittelständische Unternehmer*innen durch ihre operative Überlastung ihr Personal nicht nicht auf ihrem ‚Radarschirm‘. Sie beklagen nur, wie schwer es ist, Mitarbeiter zu finden zu zu binden. Man übersieht, dass eine gute Personalentwicklung ein zentraler Faktor der Bleibe-Motivation ist.

Eindimensionale Einstellung zur PE: Ein Fall-Beispiel im Gespräch

In vielen mittelständischen Unternehmen – und nicht nur in diesen – herrscht eine ‚eindimensionale‘ Einstellung zur PE, wie sie z. B. im folgenden Gespräch mit einer mittelständischen Unternehmer-Persönlichkeit1 zum Ausdruck kommt:

  1. Frage: „Wie wichtig ist Ihnen Lernen und Personalentwicklung in ihrem Unternehmen und was sind Ihre Erfahrungen dazu?“ Antwort: „Natürlich ist Personalentwicklung und Weiterbildung wichtig, aber Seminare kosten viel Geld. Und sie nützen nur selten wirklich für unser Unternehmen. Wir haben schon einmal  Mitarbeiter zu Verkaufs-Seminaren geschickt und auch uns einmal einen Trainer ins Unternehmer geholt, vor allem, um die Zusatzverkäufe anzukurbeln. Unsere Mitarbeiter haben dort viel gehört, manches war neu, vieles haben wir aber schon gekannt, nur noch nicht umgesetzt. Manches können wir gar nicht umsetzten, weil es nicht in unser Unternehmen passt: z. B. „Customers Journey“. Dennoch haben die Aktionen auch kurzfristig etwas gebracht, der Zusatzverkauf hat sich erhöht, leider war alles wieder schnell wieder vergessen und wir sind zum alten Zustand zurückgekehrt. also haben wir es wieder gelassen – mit der PE.“
  2. Frage: „Haben auch die Führungskräfte (Teamleiter) teilgenommen.“ „Nein, die waren bereits einige Jahre vorher auf einem Verkaufs-Seminar.“
  3. Frage: „Wie ist es zur Entscheidung gekommen, das Seminar zu besuchen bzw. einen Trainer einzuladen?“ Antwort: „Ich habe mich im Internet informiert, habe mir dann die finanzielle Zustimmung der Miteigentümer (Eltern, Bruder) geholt. Meine Assistentin hat dann die organisatorischen Angelegenheiten übernommen:  Die Teilnehmer_innen informiert, dafür gesorgt, dass sie in dieser Zeit keine Urlaube nehmen, das Seminar gebucht, bzw. den Trainer engagiert, den Seminarraum organisiert usw.
  4. Frage: „Gab es vor der Entscheidung zur Wahl einer PE-Maßnahme irgendeine Art von Analyse / Diagnose?“ Antwort: Nein, das war nicht notwendig. Bei der Wahl des Seminars wusste ich durch Beobachtung, dass meine MA Schwächen in der Verkaufs-Technik, vor allem beim Verkaufs-Gespräch hatten, vor allem fragten sie viel zu wenig und zögerten zu sehr beim Abschluss.
  5. Frage: „Wurden die Teilnehmer_innen auf das Seminar vorbereitet?“ Antwort: „Inhaltlich war das nicht notwendig, die Teilnehmer_innen wussten, was auf sie zukommt. Organisatorisch mussten wir natürlich unseren Personaleinsatz-Plan ändern, das war gar nicht so leicht, weil wir in dieser Zeit auch krankheitsbedingte Ausfälle hatten.“
  6. Frage: „Gab es Aktionen nach dem Seminar? Nachbereitungen, Nachbesprechungen, Follow Ups, Umsetzungspläne oder ähnliches? Antwort: „Die Teilnehmer_innen bekamen im Seminar vom Trainer Aufgaben. Ich habe auch in einem Meeting nachgefragt, ob die Aufgaben erledigt wurden. Dies wurde bejaht. Es wurde aber auch darauf hingewiesen, dass das gar nicht so leicht gewesen war, weil wir ja meist sehr in Zeitdruck sind. Ursprünglich haben wir auch ein Follow Up in Erwägung gezogen, das war uns dann aber doch zu teuer.“
  7. Frage: Hatten ihre Führungskräfte (Diagnose) eine geeignete Führungs-Ausbildung und/oder anderer Führungskräfte-Entwicklungs-Maßnahmen?  Antwort: Ehrlich gesagt, unsere Führungskräfte sind keine echten Führungskräfte. Sie machen zwar die Personaleinsatz-Planung, den Urlaubs-Plan und ähnliches. Aber sobald es Schwierigkeiten gibt, wird jemand aus unserer Familie geholt, der die Dinge bereinigt bzw. Entscheidung trifft. Auch die Mitarbeiter-Gespräche führe fast alle ich. Die restlichen Gespräche führt jemand anderer aus unserer Familie.
  8. Frage: Haben Sie selbst auch Seminar besucht oder an anderen Entwicklungs-Maßnahmen teilgenommen. Antwort: „Nein, ich hatte ja eine gute Unternehmer-Ausbildung und ich bin seit meiner frühen Jugend im Geschäft und mit dem Geschäft aufgewachsen. Mir erzählt keiner was.“ Zusatzfrage: „Haben Sie selbst schon eine Ausbildungs-Maßnahme oder eine andere PE-Aktivität im Unternehmen durchgeführt?“ Antwort: „Nein, daran habe ich eigentlich noch gar nicht gedacht, ich werde es auf meinen Radarschirm setzen.“

Zusammenfassung: Es ging in diesem Fall um 2 PE-Maßnahmen:

  • Teilnehmer_innen wurden zu einem externen Verkaufs-(Technik-)Seminar geschickt.
  • Ein Trainer wurde engagiert, um ein internes Seminar bzw. Workshop abzuhalten. Schwerpunkt: Zusatzverkäufe.

Analyse des Gesprächs

In diesen Gespräch sind einige Annahmen enthalten, die nur beschränkt stimmen bzw. keine Basis für eine geeignete PE-Konzeption darstellen:

  1. a) PE besteht hauptsächlich aus Seminaren.
    b) PE ist etwas Punktuelles, vielleicht sogar Einmaliges.
    c) PE wirkt nur kurzfristig.
    d) Gelernt wird in erster Linie durch Zuhören.
  2. Führungskräfte müssen nicht an den Veranstaltungen teilnehmen, es genügt, wenn die Mitarbeiter_innen teilnehmen.
  3. An der Entscheidung, welche Veranstaltung durchgeführt werden soll, brauchen MA nicht beteiligt werden, es genügt, wenn die Führungskraft ein fachlich gute Entscheidung trifft.
  4. Eine vorausgehende Diagnose ist bei Seminaren und anderen PE-Maßnahmen nicht notwendig.
  5. Eine Vorbereitung der Teilnehmer_innen ist nicht notwendig
  6. Die entscheidenden Lernprozesse geschehen im Seminar, Vor- und Nachbereitungen sind nicht wichtig.
  7. Eine fundierte Führungskräfte-Ausbildung ist nicht notwendig.
  8. Die Geschäftsführung / die Unternehmer_innen brauchen keine PE.

Klärung der Prämissen

Sehen wir uns diese Prämissen an:

  1. a) PE besteht hauptsächlich aus Seminaren.
    Richtig ist: Seminar gehört zum Repertoire der PE-Instrumente.
    Aber: Ein Seminar ist nicht das einzige Instrument, meist ist es nicht einmal das wichtigste. On-the-job-Instrumente sind meist wichtiger.
    b) PE ist etwas Punktuelles, oder sogar Einmaliges.
    Richtig ist: In vielen Unternehmen ist es so, weil bloß Seminare als PE-Instrument eingesetzt wird.
    Aber: PE sollte als laufender Prozess gesehen werden Lern-Prozesse sollten Arbeits-Prozesse begleiten. („Lernende Organisation“)
    c) PE wirkt nur kurzfristig. Richtig ist:
    Richtig ist: PE wirkt nur kurzfristig, wenn es nur punktuelle durchgeführt wird.
    Aber: Wichtig für die Verantwortlichen des Lernens ist es, dranzubleiben, auch die Umsetzungs-Maßnahmen zu begleiten, Lernen off the job mit Lernen on the Job zu verbinden.
    d)
     Lernen besteht in erster darin, einer lehrenden Person störungfrei zuzuhören, möglichst viel von dem, was gesagt wird aufzunehmen und wiedergeben zu können.
    Es stimmt, dass Lernprozesse den Erwerb neuer Informationen beinhalten.
    Aber: Es reicht nicht, diese Inhalte bloß aufzunehmen. Dadurch sind nämlich nur sehr einfache Lernziele („Lernziel-Niveau I“: Wissen wiedergeben können.) erreichbar. Diese sind jedoch nicht zur Umsetzung im Unternehmen geeignet. Man muss das Wissen auch anwenden können („Niveau II“: Anwenden in Routine-Situationen oder sogar „Niveau III“: Anwenden nicht Nicht-Routine- / neuartigen, innovativen Situationen). Dazu sind jedoch andere, aktivere Lernkonzepte notwendig. („Lernen als Konstruieren.“)
    .
  2. Führungskräfte nehmen nicht teil:
    Es stimmt, natürlich können Führungskräfte können und sollen nicht an den externen Seminaren ihrer MA teilnehmen.
    Aber: Sie spielen eine Rolle in der Vor- und Nachbereitung externer Seminare
    Und: Sie sollen in interne Seminare eingebunden werden: z. B. Zu Beginn Eröffnung des Seminars und am Ende: Bericht der TN an die Führungskraft über die erarbeiteten Umsetzungs-Vorhaben.
    .
  3. Mitarbeiter werden an der Entscheidung nicht beteiligt.
    Es stimmt: Die Entscheidung trifft die Führungskraft, meist in Abstimmung mit der Geschäftsführung.
    Aber: Die Mitwirkung der TN an der Entscheidung ist wichtig für die Akzeptanz. Akzeptanz einer PE-Maßnahme beeinflusst die Lern- und vor allem auch die Umsetzungs-Prozesse (Transfer).
    .
  4. Diagnose braucht man nicht:
    Es stimmt: Eine vorhergehende Diagnose ist nicht notwendig, wenn eine jährliche Bildungs- bzw. Entwicklungs-Bedarfs-Analyse durchgeführt wurde und die Bildungsmaßnahme Teil des daraus entstandenen Bildungs-Plans ist.
    Aber: Ist dies nicht durchgeführt worden – und das ist in mittelständischen Unternehmen nach meiner Erfahrung die Regel – so ist eine Diagnose dringend erforderlich, z. B. in einem Team-Meeting: „Wo sind bei uns die Lücken?“, „Was brauchen wir am dringendsten?“, „Wovon würden wir besonders profitieren?“ Der Erfolg der Maßnahme hängt entscheidend von der Akzeptanz der MA ab und die wird durch so eine Maßnahme entscheidend verbessert.
    .
  5. Vorbereitung der TN ist nicht notwendig:
    Es stimmt: Die TN lernen auch ohne Vorbereitung.
    Aber: Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die MA nicht nur irgend etwas sondern zielbezogen lernen. Um dazu müssen die MA  das Ziel der jeweiligen Maßnahme kennen:

    • Was soll mit der Maßnahme erreicht werden?
    • Was sind die zentralen Lernziele?
    • Wie und wo soll das Gelernte umgesetzt werden? …+
      Häufig besteht in Seminaren die Möglichkeit, die Gestaltung durch Fragen der TN, Erwartungen, Wünsche, … mit zu gestalten.  Das kann entscheidenden Einfluss auf den Erfolg der Maßnahme haben.
      .
  6. Nachbereitung ist nicht nötig.
    Daran kann nichts Richtiges gefunden werden.
    Weil: Nachbereitung ist für die erfolgreiche Umsetzung maßgebend:

    • Wie soll was umgesetzt werden?
    • Wurden schon Umsetzungs-Maßnahmen im Seminar geplant?
    • To-do-Liste: Wer soll was tun, um die Umsetzung erfolgreich werden zu lassen?
    • Sollen andere am Lernprozess beteiligt werden? (z. B. Bericht oder ‚Kostprobe‘ im Team-Meeting)
      .
  7. Eine fundierte Führungskräfte-Ausbildung ist Luxus:
    Auch diese Meinung ist aus meiner Sicht völlig falsch und die Ursache vieler Missstände in Unternehmen.
    Weil: Führungskraft / Manager_in ist eine Beruf bzw. zentraler Berufs-Bestandteil von Unternehmer_innen. Und dieser Beruf hat Multiplikator-Effekt, kann großen Nutzen schaffen, aber auch großen Schaden anrichten. Deshalb soll er professionell ausgeübt werden. Auf jeden sollte jede Führungskraft ihre Aufgaben kennen. Und dazu gehört auch die PE ihrer MA.
    .
  8. Die Geschäftsführung / die Unternehmer_innen brauchen keine PE.
    Auch das ist völlig falsch.
    Weil: Die Qualität und Professionalität von Führungskräften ist entscheidend von den Qualitäten und der Professionalität der Geschäftsführung / der Unternehmer_innen abhängig. Deren Multiplikator-Wirkung ist noch höher. Ihre Professionalität noch wichtiger.

Querverweise

Literatur und Links

Harald Meier: Personalentwicklung. Konzept, Leitfaden und Checklisten für Klein- und Mittelbetriebe. Gabler. Wiesbaden 1991. (ebook, Springer)

Sabine Bimmler, Anne Kleinert, Matthias Bonhage: Nachhaltigkeit von Personalentwicklungsmaßnahmen. Menschen Entwicklung Systeme GmbH-Working Paper 2009 / 12. https://web.archive.org/web/20151123053639/http://www.mittelstandsbund.de/media/raw/Nachhaltigkeit_Personalentwicklungsmassnahmen.pdf.

Alexander Groth: Führungsstark im Wandel. Change Leadership für das mittlere Management. Campus Verlag. 3. Auflage 2016. (1 –  2008)

Alexander Groth: Führungsstark in alle Richtungen. 360-Grad-Leadership für das mittlere Management. Campus Verlag. 4. Auflage 2019. (1 –  2008)

Richard Gris: Die Weiterbildungslüge. Warum Seminare und Trainings Kapital vernichten und Karrieren knicken. Campus. Frankfurt a. M. 2008

Norbert Thom: Personalentwicklung als Instrument der Unternehmensführung. Konzeptionelle Grundlagen und empirische Studien. Poeschel 1997.

  1.   Es ist ein fiktives Gespräch, aus mehreren tatsächlich geführten Gesprächen mit Unternehmer_innen unterschiedlicher Branchen zusammengesetzt.   

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