Konflikt-Diagnose für die Praxis – Am Beispiel: Zwei Cliquen in meinem Team

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Nicht selten gibt es Cliquen in einem Team, deren offener oder versteckter Kampf das Klima zerstören und die Leistung beeinträchtigen.

Ausgangs-Situation (Fall)

Sie sind Geschäfts-Führer_in einer kleineren selbständigen Organisations-Einheit einer größeren Organisation. Sie haben einige Führungskräfte direkt unterstellt, direct reports. Es sind (Bereichs-)Leiter_innen mit jeweils einem (Geschäfts-)Bereich / Team. Ein bestimmter Bereich bereitet ihnen besondere Sorgen. Dort ist ein offener Konflikt ausgebrochen. Die Leiter_in wird demnächst aus privaten Gründen die Organisation verlassen. Es gibt dort zwei Lager / Cliquen mit jeweils einer Protagonist_in, die sich gegenseitig bekämpfen, sich übereinander beschweren und beschuldigen und die Kommunikation miteinander fast völlig eingestellt haben.

Sie haben bereits eine neue Leiter_in aus einem anderen Bereich zur Nachfolger_in bestellt. Sie hatte bisher keine Führungs-Erfahrung, sie halten Sie jedoch für eine Führungs-Position geeignet.

Bisher haben Sie sich aus dem Konflikt herausgehalten. Sie dachten, die Leiter_in wird die Sache selbst in den Griff bekommen, hat sie aber nicht.

Sie sind sich jedoch bewusst, dass sie den Bereich nicht in diesem Zustand übergeben können, und sind bereit, die Altlasten vor Übergabe so gut wie möglich zu bereinigen.

Obwohl Sie natürlich schon einiges über den Konflikt wissen, wollen Sie, bevor sie Maßnahmen / Interventionen setzen, den Konflikt in Ruhe diagnostizieren. Sie entwickeln / verwenden einen Diagnoserahmen1 und wollen als ersten Schritt den Konflikt für sich reflektieren (Selbstreflexion).

Der folgenden Diagnose- / Reflexions-Fragen können Ihnen als Führungskraft helfen, den Konflikt zu reflektieren.
Die Fragen können für andere Diagnose-Zwecke einfach adaptiert werden, z. B. für Berater / Konflikt-Moderatoren …, um den Konflikt allgemein und aus der Sicht des Chefs (Geschäftsführers) zu diagnostizieren.

Konflikt-Diagnose / Selbst-Reflexion

– aus der Sicht der Chef_in, der Vorgesetzten der Leiter_in des Führungs-Bereichs –

Erste Assoziationen

  • Was sind meine ersten Gedanken, Eindrücke, Erinnerungen, wenn ich an diesen Konflikt denke. Welche Bilder, Gefühle, Stimmungen kommen dabei hoch. In welchem Ausmaß bin ich selbst in diesen Konflikt emotional betroffen ( starke Betroffenheit versus emotionale, analytische Distanz)
  • War ich in Teil-Episoden des Konflikts direkt involviert oder wurde mir nur von Ereignissen berichtet.

Konflikt-Inhalte

  • Was sind die Inhalte des Konflikts. Worum geht es den Beteiligten? Worüber wird gestritten? Was wird nicht akzeptiert?
  • Gibt es einen Konflikt hinter dem Konflikt? Könnte es sein, dass der Konflikt nur ein vorgeschobener Schein-Konflikt ist und in Wirklichkeit geht es um etwas ganz Anderes? Worum geht es ‚wirklich‘?

Konflikt-Geschichte

  • Wie ist der Konflikt bisher abgelaufen?
  • Wie hat der Konflikt begonnen? Wodurch ist er entstanden? Was sind die Konflikt-Ursachen?
  • Gabe es eine Vorgeschichte zu diesem Konflikt?
  • Was waren die bisherigen zentralen Konflikt-Episoden? Gabe es offene Auseinandersetzungen, Beschuldigungen, Schrei-Duelle, Eskalations-Ereignisse, …
  • Wie sehe ich die bisherigen Handlungen der Konflikt-Parteien? Was sehe ich als positiv, angemessen, akzeptabel? Was negativ?
  • In welchem Stadium ist der Konflikt derzeit? (heiß – kalt, offen – schwelend, geringe – starke Auswirkungen, …)

Auswirkungen

  • Wie wirkt sich der Konflikt auf das Klima aus?
  • Wie wirkt sich der Konflikt auf die Leistungen der direkt Betroffenen aus?
  • Hat der Konflikt auch bereichs-übergreifende Auswirkungen? Wer ist indirekt betroffen?
  • Wie weit ist der Konflikt bekannt? Wer weiß von diesem Konflikt? vertikal – horizontal?
  • Inwieweit wirkt sich der Konflikt auf meinen ganzen Führungs-Bereich / die ganze Organisation aus?
  • Hat er auch Auswirkungen nach außen? Wird er außen sichtbar / erlebbar?

Beziehungen

  • Wie stehen die direkt Betroffenen zueinander?
    *) Nähe – Distanz
    *) positive – negative Beziehungen
    *) lange – kurze Beziehungen
  • Welche Beziehung habe ich zu den direkt Betroffenen? Wer steht mir näher – ferner? Wen sehe ich positiv / negativ? Wer ist mir wie sympathisch?
  • Wie stehen die Betroffenen zu Nachbar-Bereichen, Schnitt-Stellen, … Was denken diese über den Konflikt?
  • Kann ich ein Soziogramm der Betroffenen (incl. mir) erstellen?

Abhängigkeit des Systems / Veränderbarkeit

  • Was ist fix in diesem sozialen System / was ist veränderlich?
  • In welchem Ausmaß sind die einzelnen System-Elemente veränderbar?
    • Sitzordnung
    • Aufgaben-Verteilung
    • Mitarbeiter / Personen
  • Wie abhängig ist das System von einzelnen Mitarbeitern / Mitarbeiter-Gruppen? Gibt es (Spezial-)Wissen / Fähigkeiten / Kompetenzen, über die nur ein Einzelner verfügt? Wie lange würde es dauern / wie schwierig würde es sein, einen neuen Mitarbeiter in diesem Bereich zu finden und einzuarbeiten / aufzubauen?
  • Was kann in diesem System entschieden werden? Wo muss die Entscheidung mit Anderen (Management, Personal-Management / HRM, Rechts-Abteilung / Legal Counsel, Betriebsrat …) abgestimmt bzw. deren Zustimmung eingeholt werden. Wie wahrscheinlich ist deren Zustimmung

Erwartungen

  • Was sind meine konkreten Erwartungen an die direkt Betroffenen: an die bisherige Leiterin dieses Bereichs, an die Protagonisten, die Mitglieder der Lager / Cliquen, an die Neutralen, …?
  • Inwieweit kennen die Betroffenen diese Erwartungen? Wenn nicht: Wie kann / will ich das nachholen?
  • Welche konkreten Erwartungen haben Andere an mich bezüglich des Konflikts: die Leiter_innen, direkt Betroffenen, Dritte, meine vorgesetzte Stelle, …
  • Welche konkreten Erwartungen habe ich an mich?

Eigene Rolle und Anteile im / am Konflikt

  • Was sind meine Anteile am Konflikt bzw. an dem derzeitigen Konflikt-Zustand? Habe ich direkt oder indirekt zu diesem Konflikt (-Verlauf) beigetragen?
    Habe ich etwas verabsäumt, mich zu sehr zurückgehalten?
  • Wie / wann / von wem wurden Informationen, Beschwerden, Anliegen an mich herangetragen? Wie habe ich(äußerlich)  reagiert? Was habe ich getan? Was habe ich unterlassen? Was waren meine inneren Reaktionen (Ärger, Enttäuschung, Angst, keine emotionale Reaktion, …) Waren auch positive Reaktionen dabei?
  • Wie wichtig ist es mir, den Bereich in einem akzeptablen Zustand an die neue Leiterin zu übergeben? Wie wichtig ist mir die ‚Lösung‚ des Konflikts? Ist es für mich auch akzeptabel, wenn der Konflikt nicht gelöst, aber gemanagt wird (akzeptable Umgangsformen, keine wesentliche Beeinträchtigung der Leistungen, …)
  • Inwieweit bin ich bereit mich in den Konflikt einzulassen? Wie viel Zeit / Energie kann / will ich investieren? Wie lästig ist es mir, mich in diesen Konflikt zu involvieren? Hält er mich von wichtigeren oder angenehmeren Dingen ab? Sehe ich Konflikt-Management zu meinen Führungs-Aufgaben?
  • Selbsteinschätzung: Wie hoch sehe ich meine Konflikt-Kompetenzen? Vermeide ich gerne Konflikte? Will ich nichts mit ihnen zu tun haben? Eskaliere ich Konflikte, ohne es zu wollen? Wie gut kann ich zu Win-win-Lösungen beitragen?
    Welche Auswirkung hat das auf meine direct reports / meine mir direkt unterstellen Führungskräften?
  1.   Vgl. dazu Constanze Jecker: Entmans Framing-Ansatz: Theoretische Grundlegung und empirische Umsetzung   

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