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Geschwister: Gemälde von Fritz von Uhde [1848-1911): Die große Schwester (1883) Germanisches Nationalmuseum Nürnberg
Wie beeinflussen Geschwister-Konstellationen den Nachfolge-Prozess in Familien-Unternehmen?

Die Nachfolge-Thematik ist auch in einfachsten Konstellationen schwierig (z. B. 1 ÜbergeberIn – 1 ÜbernehmerIn) und hat viele Perspektiven, betriebswirtschaftliche, rechtliche, familiäre, psychische, soziale, … Besonders schwierig wird es in bestimmten Geschwister-Konstellationen, z. B.

  • bei komplexen Familien-Strukturen (z. B. Töchter und Söhne aus unterschiedlichen Ehen),
  • bei starker Familien-Dynamik (z. B. schon der Großvater hatte den Kontakt zu seinem Bruder angebrochen),
  • wenn Spannungsfelder / Konflikte zwischen den Geschwistern existieren,
  • wenn sehr unterschiedliche Interessen vorhanden sind, …

Manchmal ist allen Beteiligten nicht bewusst, wo die Quellen der Schwierigkeiten liegen. Die Klärung der Familien-Konstellation kein Einblick  in die Ursachen der Schwierigkeiten geben und damit den Handlungsspielraum erweitern. Etwas einfacher zu durchschauen sind strukturelle Familien- bzw. Geschwister-Konstellationen, komplexer sind systemische Analyse der Gesamtzusammenhänge

Geschwister-Konstellationen

Eine Übersicht über Ansätze zu Geschwister-Konstellationen finden sich in meinem Blog Beitrag: „Geschwister-Konstellationen prägen unsere persönliche Entwicklung„. Geschwister-Konstellationen können sehr starke Kräfte entwickeln – sowohl zum Positiven als auch zum Negativen.

Relativ wenig komplex ist die Geschwister-Konstellation: keine Geschwister (Einzelkind als Übernehmer) und ähnliche Konstellationen. Sie kann jedoch auch belastend sein, wenn das Thronfolger-Kind schon sehr früh dieser Rolle ‚ausgeliefert‘ ist. Auch die Ablösung und Emanzipation von den Eltern ist durch die starke Bindungswirkung des Unternehmens besonders schwierig – und gleichzeitig besonders wichtig.1  Manchmal kommen die Zweifel, ob es richtig war, das Unternehmen zu übernehmen erst viel später, z. B. in der Mitte des Lebens mit der damit verbundenen Midlife-Crisis.

Besonders einfach scheint die Situation zu sein, wenn die Werte und Vorstellungen der übergebenden Eltern jenen der übernehmen Tochter oder des übernehmenden Sohnes ähnlich sind. Vom Geschlecht her wird häufig behauptet, dass eine gelungen Übergabe vom Vater an die Tochter die größte Realisierungs-Chance hat. 2

Wenn zusätzlich der Nachfolge-Prozess rechtzeitig geplant wurde, gut übergeben wird und die Übergeber als Berater und Mentoren weiter zur Verfügung stehen, ohne sich in die Unternehmens-Prozesse einzumischen und die Entscheidungen der Nachfolger in Frage zustellen, zu kritisieren und zu torpedieren, sind die Weichen gut gestellt. Sind sie bereit, (ev. auf Abruf) unterstützend  und wohlwollend einzuspringen (z. B. in Krankheitsfällen von MitarbeiterInnen oder als Großeltern in der Kinderbetreuung), so kann das die Situation der Übernehmer wesentlich erleichtern. In Fällen von Einmischung, Kritik und Nicht-Loslassen-Können von der bisherigen Rolle kann es umgekehrt zu erheblichen Schwierigkeiten kommen.

Natürlich ist auch die Vorsorge-Situation der Übergeber mit zu berücksichtigen. Sind die Forderungen der Übergeber zu hoch, hat das zusätzliches Gefährdungspotenzial. Erstreckt sich die  Versorgungs-Notwendigkeit nicht nur auf die Eltern sondern auch noch auf Großeltern, so ist die Situation natürlich noch problematischer und kann den Fortbestand des Unternehmens gefährden. Am Besten für die Übernehmer ist es, wenn die Übergeber gut vorgesorgt haben, z. B. durch Immobilien und sie daraus genügend finanzielle Mittel für ihre Versorgung schöpfen können.

Ähnliche Konstellationen liegen vor, wenn es zwar zwei oder mehrere Geschwister gibt, die jedoch andere Interessen haben, andere Berufe ausüben und an der Übernahme des Unternehmens keine Interessen haben. Wenn auch das Erbe so geregelt werden kann, dass diese Geschwister keine Anteile an der Unternehmens-Immobilie beanspruchen, sondern z. B. durch andere Immobilien abgegolten werden, ist dies für den Übernehmer ideal.

Komplexer ist die Situation, wenn zwei oder mehrere Geschwister das Unternehmen übernehmen. Aus der Familien-Forschung weiß man, dass die Beziehung am intensivsten ist, wenn die Geschwister vom gleichen Geschlecht und in einem ähnlichen Alter sind.3  Sie können die größte positive Kraft für das Unternehmen entwickeln, aber auch die größte konfliktäre oder sogar zerstörerische Kraft. Zu unterscheiden ist hier

  • Fortführung in der gleichen Rolle (2 Geschäftsführer, Doppelspitze)
  • Fortführung in unterschiedlichen Rollen (mit gleichen oder unterschiedlichen Anteilen)

Komplexer und schwieriger ist die 2. Version, obwohl sie häufig in der Praxis vorkommt.4

Noch höher ist die Komplexität in der nächsten Generation, wenn die Nachfahren der Geschwister das Unternehmen übernehmen. Dies erfordert ein hohes Ausmaß an Management-Kompetenzen, z.B Strukturierung, Planung usw. Vor allem die Klärung der Führung ist hier wichtig, unabhängig von der Verteilung der Anteile. Und es erfordert ein hohes Ausmaß an Akzeptanz der unterschiedlichen Rollen, vor allem die Akzeptanz unterschiedlicher Dominanz im Unternehmen. Die Komplexität ist hier so hoch, dass es sich meist lohnt, für den Nachfolgeprozess einen neutralen Dritten, Moderator bzw. Mediator zur Steuerung des Prozesses zu engagieren. Sonst ist die Gefahr sehr hoch, dass sich der Volksweisheit:  „Der Vater erstellt’s, der Sohn erhält’s, beim Enkel zerfällt’s“ bewahrheitet. Noch besser ist meist die Einsetzung eines Beirat 5

Was tun?

Was kann man tun, um den Nachfolge-Prozess im Familien-Unternehmen bei komplexen Geschwister-Konstellationen konstruktiv zu gestalten?

  • Reden – Reden – Reden: Kommunikation ist der Schlüssel für die Bewältigung von Herausforderungen: Gespräche unter Geschwistern und mit den Eltern: Bewusst geplant, regelmäßig, offen
  • Strukturen schaffen: Aufteilung / Klärung der Aufgaben und Kompetenzen, Organisations-Struktur (Organigramm), Jeder Mitarbeiter hat das Recht auf einen und nur einen Vorgesetzten (Ausnahme Matrix, Ausnahme Projekt-Organisation). Die häufige Praxis „jedes Familien-Mitglied darf jedem Mitarbeiter Anweisungen erteilen“ schafft viele Konflikt-Situationen (one man, one boss6)
  • Trennung der Rollen: Unternehmens-Führung, Anteilseigner, Familien-Mitglied: In welcher Rolle rede / agiere ich („Welchen Hut habe ich auf?). Mit jeder Rolle sind unterschiedliche Interessen verbunden, die ich harmonisierten sollte
  • Neutraler Dritter: Die Unterstützung neutraler Dritter hilft bei vielen Lösungen, Klärungen, Konflikt-Bearbeitungen, …
  • Vermeidung von Familien-Geheimnissen: Die Praxis unterschiedlichen Personen unterschiedliches „im Vertrauen“ mitzuteilen mit dem Gebot, es nicht weiterzusagen schafft Konflikte trotz der Absicht, diese damit zu vermeiden
  • Plan B: Um sich bewusst für die Übernahme des Unternehmens entscheiden zu können, ist häufig ein Plan B, eine alternative Berufstätigkeit sinnvoll. Sonst ist die Abhängigkeit zu groß.
  • „Lehr- und Wanderjahre“: Nachfolger sollten in ausreichendem Ausmaß vor der Übernahme Erfahrungen in mehreren anderen Unternehmen – möglichst in verantwortungsvoller Position – übernehmen. Es weitet z. B. den Blick, lässt Alternativen erkennen, schärft den Blick auf Schwachstellen im eigenen Unternehmen.

Links und Literaturhinweise

Familien-Konstellationen (Walter Toman)

  • Walter Toman: Familienkonstellationen: Ihr Einfluss auf den Menschen. C.H.Beck’sche Verlagsbuchhandlung, München 1965 (Klassiker zu Familien-Konstellationen auf der Basis der Individual-Psychologie von Alfred Adler.
    engl. Original: Family Constellation. Springer 1961 (vollständiges Buch als pdf)

 

Nachfolge und Familien-Konstellationen

  • Hans Sohni (Hrsg.): Geschwisterdynamik, Psychosozial-Verlag, 2011. mit Leseprobe
  • Gernot Barth und Bernhard Böhm (Hrsg.): Schwarze Schafe: Außenseiter statt Querdenker. (Themenheft) Die Mediation, Ausgabe 3/2016
  • Hans Sohni (Hrsg.): Geschwisterlichkeit. Horizontale Beziehungen in Psychotherapie und Gesellschaft.  Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht 1999
  • Hans Sohni: Geschwister: gegeneinander und miteinander. In: Gernot Barth und Bernhard Böhm (Hrsg.): Schwarze Schafe , S. 28 – 31
  •  Kevin Leman: Geschwisterkonstellationen: die Familie bestimmt Ihr Leben, MVG Verlag, 2010 (auch ein Standardwerk)
  • Udo Rauchfleisch: Alternative Familienformen: Eineltern, gleichgeschlechtliche Paare, Hausmänner, Vandenhoeck & Ruprecht, 1997
  • Ulrike Kögel: Geschwisterbeziehungen in Märchen: Formen und Darstellungsweisen, GRIN Verlag, 2006
  • Astrid Schryögg: Die Bedeutung von Familienkonstellationen im Coaching. OSC 1/04 (11), S. 53-65)
  • Tillmann F. Kreuzer: Geschwister als Erzieher?!. Bedingungsgefüge, Beziehung und das erzieherische Feld. Paderborn: Ferdinand Schöningh 2016 (Dissertation mit den Ergebnissen einer empirischen Studie zur „Geschwisterdynamik in Mehrkindfamilien aus der Perspektive von Kindern, Jungendlichen und jungen Erwachsenen, insbesondere der ältesten Geschwister. – S. 15. In dieser Studie wird davon ausgegangen, dass Erziehung und Sozialisation nicht nur vertikal durch die Eltern erfolgt sondern auch horizontal durch Geschwister. Die Arbeit basiert auf pädagogisch-psychoanalytischen Grundgedanken – vgl. S. 19 ff.)

 

Nachfolge allgemein

 

Grundfragen in Familien-Unternehmen

 

Querverweise

 

Ergänzende Links und Literatur

Führung

Lührmann: Führung, Interaktion und Identität. Gabler 2005. (Dissertation 2005).

  1.   Vgl. dazu den Blog-Beitrag „Ablösung von den Eltern – schwierig in Familien-Unternehmen“ und Arno Lehmann-Tolkmitt und Nina Heinemann:  Nachfolge in Geschwisterkonstellationen. , S. 119 
  2.   Sabine Rau: Töchter sind die einfacheren Nachfolger. Interview von Christoph Neßhöver. Spiegel online  
  3.   Vgl. Arno Lehmann-Tolkmitt und Nina Heinemann:  Nachfolge in Geschwisterkonstellationen. , S. 119   
  4.   Arno Lehmann-Tolkmitt und Nina Heinemann nennen dies als „das häufigste Modell in der Praxis“ (Nachfolge in Geschwisterkonstellationen, S. 125) 
  5.   Vgl. nachfolgewiki: Beirat für ein Familienunternehmen. 
  6.   Vgl. Lührmann: Führung, Interaktion und Identität. S. 65.  

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