Junge Führungskräfte führen alte Hasen – keine leichte Aufgabe
Meiner Erfahrung nach gibt es immer mehr junge Führungskräfte, die Mitarbeiter*innen führen, die viel älter und erfahrener sind. Manchmal wird sogar der Jüngste aus einem Team zur Führungskraft dieser Gruppe ernannt. Viele Führungskräfte beklagen dies, sehen dies oft als größte Herausforderung oder Problem in ihrer Führungs-Situation.
Wodurch entsteht diese schwierige Situation und wie kann man sie konstruktiv bewältigen?
Das Alter bezieht sich dabei sowohl auf das Lebensalter als auch auf die Zugehörigkeit zum Unternehmen bzw. zum Führungsbereich der Führungskraft.
Wodurch entstehen diese Schwierigkeiten? Was macht die Situation schwierig?
- Die Situation widerspricht dem archetypischen (kollektiven) Unbewussten
- Die Älteren haben naturgemäß mehr Erfahrung, vor allem beim Thema „Führen – Geführt werden“. Man könnte auch sagen, sie haben mehr Erfahrung in der Abwehr von ’schlechter Führung‘ als die Jungen mit dem Umgang mit schwierigen Führungssituationen.
- Viele ältere Mitarbeiter*innen tragen alte Verletzungen von früheren Führungskräften in sich, Verletzungen, die noch nicht verarbeitet sind.
- Im Unbewussten finden Übertragungen statt: Die Jungen übertragen an den Älteren ihre Elternerfahrungen. Die Älteren übertragen an die Jüngeren ihre Erfahrungen mit Söhnen und Töchtern bzw. Kindern allgemein.
Was kann die Führungskraft tun, um die Situation zu verbessern?
- Die Situation zu Beginn ansprechen und zuhören, was der ältere Mitarbeiter*innen zum Ausdruck bringt. („Tell and Listen“). Der Beginn ist, wenn die Führungskraft diesen Mitarbeiter*innen bzw. das ganze Team übernimmt bzw. aus der Gruppe heraus wächst .“Wie geht es dir mit dieser Situation?“ ist die entscheidende Frage.
- Dem Alter die Ehre geben: Eine grundsätzlich positive Einstellung zum Alter und zu älteren Menschen erleichtert die Interaktion mit diesen Mitarbeiter*innen. Dabei ist nicht gemeint, dass man den älteren Mitarbeitern die Entscheidungen lässt oder Entscheidungen verhindern lässt – ganz und gar nicht. Aber die Erfahrungen dieser Personen einholen, wäre eine nützliche Handlung.
- Gespräche mit den älteren Mitarbeiter*innen nicht vermeiden, sondern im Gegenteil suchen. Auch wenn sie manchmal oder oft schwierig verlaufen.
- Eine prophylaktische Aktion wäre es, wenn der eigene Chef (Vorgesetzter der jüngeren Führungskraft) bzw. die Person, die die Entscheidung für diese Führungsübernahme getroffen hat, ein Vorgespräch mit dem älteren Mitarbeiter*innen führt, besonders dann, wenn die Mitarbeiter*in als ‚kritische Mitarbeiter*in‘ bekannt ist bzw. eingestuft wird. Er kann dabei die ältere Mitarbeiter*in fragen, wie es ihm mit der Entscheidung für die junge Führungskraft gehen und kann ihm die Erwartungen zum Ausdruck bringen, dass die ältere Mitarbeiter*in der Jüngeren keine Schwierigkeiten bereitet.
- Nicht in eine hypnotische Starre verfallen, sondern die Mitarbeiter*in behandeln „wie jede andere auch“.
- Persönlichkeitsentwicklung ist für jede Führungskraft sinnvoll oder sogar notwendig. Auf einer ‚höheren Ebene‘ beschäftigt sich die Führungskraft auch mit unbewussten Anteilen und Prozessen, auch mit Übertragungen und Projektionen. Sobald diese Prozesse der Führungskraft bewusst werden, verlieren sie an ‚emotionaler Ladung‘ und sie kann besser damit umgehen (bei sich und bei ihrem Gegenüber).
- Wenn nötig Grenzen setzen: bei destruktiven Handlungen der älteren Mitarbeiter*in.
Komplementäre Führung
Ein wirksames Instrument, das neuen Führungskräften helfen kann, den Führungsalltag gut zu bewältigen ist komplementäre Führung1 / Co-Leadership 2. Komplementäre Führung geht davon aus, dass keine Führungskraft bei der Erfüllung ihrer Führungs-Aufgaben in allen Bereichen gleich kompetent ist. Z. B.
- gibt es Führungskräfte, die den Führungs-Alltag sehr gut bewältigen, ihnen jedoch die strategischen Aspekten der Führung nicht liegt.
- Andere Führungkräfte sind wiederum im strategischen Teil ihrer Führungsaufgaben sehr kompetent, erledigen jedoch die Aufgaben der Menschen-Führung sehr ungern und daher auch nicht kompetent.
Komplementäre Führung besteht darin, sich auf die eigenen Führungs-Stärken zu konzentrieren und für die Teile, die man weniger gut abdecken kann, sich Ergänzung zu suchen. Ein ausgezeichnete Möglichkeit dafür ist die echte Stellvertretung (im Gegensatz zu Abwesenheits-Stellvertretung). Wenn dieses Führungs-Team ‚Führungskraft und komplementäre Stellvertretung‘ gut zusammenarbeitet, kann das die Führung-Qualität im Team wesentlich erhöhen.
Für junge, neuernannte Führungskräfte könnte das heißen, eine erfahrene langjährige Mitarbeiter*in als Stellvertretung zu wählen, die eine andere Sicht auf das Unternehmen und die Mitarbeiter*innen hat, einen anderen Erfahrungs-Hintergrund, andere Beziehungen zu älteren Kolleg*innen usw. Das kann die Akzeptanz der Führungskraft erhöhen und die Durchsetzung der Führungs-Entscheidungen erhöhen.
Querverweise
Führen von ’schwierigen Mitarbeiter*innen‘
Literatur und Links
Claudia Buengeler Astrid C. Homan Sven C. Voelpel (2016): The challenge of being a young manager. The effects of contingent reward and participative leadership on team-level turnover depend on leader age. In: Journal of Organizational Behavior. Volume 37, Issue 8, November 2016, S. 1224-1245. Aus: onlinelibrary.wiley.com. DOI: . https://doi.org/10.1002/job.2101.
Jurij Ryschka: Stereotype über ältere und jüngere Mitarbeiter. Aus psyche-und arbeit.de. https://psyche-und-arbeit.de/?page_id=14020. +++
Julia Pichler, Otmar Pichler: Vom Mitarbeiter zur Führungskraft. In: personal manager – Zeitschrift für Human Resources. Ausgabe 6 November/ Dezember 2016. Aus: hrm.at.
Jürgen Weibler: Die wissenschaftliche Studie: Jüngere Führungskräfte. Aus: leadership-insiders.de. https://www.leadership-insiders.de/die-wissenschaftliche-studie-juengere-fuehrungskraefte/.
complementary leadership / leadership teams
George Bradt: Lessons In Complementary Leadership From Disney And Coca-Cola. Aus: forbes.com. May 30, 2012. https://www.forbes.com/sites/georgebradt/2012/05/30/lessons-in-complementary-leadership-from-disney-and-coca-cola/#5108ca7d69e2.
Stephen A. Miles, Michael D. Watkins: The Leadership Team. Complementary Strengths or Conflicting Agendas?; Harvard Business Review 85. (4) 2007. S. 90–98. Aus hbr.org. April 2007. https://hbr.org/2007/04/the-leadership-team-complementary-strengths-or-conflicting-agendas. Auch aus: researchgate.net.
Jackie Wiles: Boost team performance by pairing complementary leaders. Aus: gartner.com. 29. 10. 2019. https://www.gartner.com/smarterwithgartner/boost-team-performance-pairing-complementary-leaders/#:~:text=%E2%80%9C’Complementary%20leadership’%20is%20the,ReimagineHR%20Conference%20in%20Orlando%2C%20FL.
Komplementäre Führung
Boris Kaehler: Komplementäre Führung. Aus: komplementaerefuehrung.de. https://www.komplementaerefuehrung.de/.
Boris Kaehler: Komplementäre Führung. Ein praxiserprobtes Modell der Personalführung in Organisationen. 3. Auflage. Springer Gabler. 2020. (2-2016). Auch aus: researchgate.net. https://www.researchgate.net/publication/340108909_Komplementare_Fuhrung_Ein_praxiserprobtes_Modell_der_Personalfuhrung_in_Organisationen.
Boris Kaehler: Führen als Beruf. Mitarbeiter erfolgreich machen. tredition 2019. (Kap. 2: Das Theoriemodell der komplementären Führung. S. 51 ff)
Boris Kaehler: Aufgabenorientierte und komplementäre Führung. Grundzüge eines integrativen Modells. Aus: dgfp.de. https://www.dgfp.de/hr-wiki/Aufgabenorientierte_und_komplement%C3%A4re_F%C3%BChrung.pdf.
o. A.: Komplementäre Führung. Aus: de.wikipedia.org. https://de.wikipedia.org/wiki/Komplement%C3%A4re_F%C3%BChrung#cite_ref-4.
Kirsten Brühl: Unternehmensführung 2030. Innovatives Management für morgen. Aus: socialskills4you.com. https://www.socialskills4you.com/wp-content/unternehmensfuehrung-2030-studie-gesamt.pdf. (insbes. S. 42 f.: Co-Leadership)
- Zur komplementären Führung vgl. z. B. George Bradt: Lessons In Complementary Leadership From Disney And Coca-Cola. Stephen A. Miles, Michael D. Watkins: The Leadership Team. Boris Kaehler: Komplementäre Führung. Boris Kaehler: Komplementäre Führung. ↵
- Zu Co-Leadership vgl. z. B. Kirsten Brühl: Unternehmensführung 2030. ↵