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Birdman – Kinoposter

Film: Birdman oder Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit
(Birdman or The unexpected virtue of ignorance)

Die Story

Ein Mann in der Krise

Der Oscar-Hit 2015 1 zeigt die Story des Schauspielers und Regisseurs Riggan Thomas. Dieser Prominente hat vor 20 Jahren in seine Rolle des Comic-Superhelden Birdman im gleichnamigen Blockbuster2 einen triumphalen Auftritt und brachte Millionen Zuschauer in die Kinos. Seither jedoch ist der Erfolg ausgeblieben, er ist etwas in Vergessenheit geraten.

Umso mehr identifiziert sich sein Alter-Ego mit dieser Heldenfigur des Birdman, der fliegen kann und telekinetische Fähigkeiten hat. Dieses andere Ich hat sich zu einer inneren Stimme verfestigt, die für den Protagonisten sehr real ist. Das geht so weit, dass er auch, dass er sich mit den paranormalen Fähigkeiten dieser Heldenfigur identifiziert.

Birdman Riggan, Lesley, Mike: Lesley schlägt vor, Mike ins Team zu holen

Gleichzeitig zeigt sich bei ihm aber große Unsicherheit und wenig Selbstvertrauen. Er steckt in einer handfesten Lebens-Krise mit emotionalem Stress. Ian Haydn Smith spricht davon, „dass das Porträt eines von „Dämonen gejagten und von Versagensängsten geplagten Egozentrikers entstehe.“3

Er hat bereits die Mitte des Lebens deutlich überschritten, aber Midlife-Erfahrung hat offensichtlich seine Krise nicht beseitigt, wahrscheinlich sogar verstärkt. Die nächsten Entwicklungs-Krise, die viele Biografie-Forscher um die 64 Jahre ansiedeln, mache nennen sie die Late-Life Crisis, kündigt sich deutlich an.

Die Chance

Verbale Auseinandersetzungen mit Mike

Mit großen Anstrengungen versucht er jetzt seinem Leben neuen Sinn zu geben. Eine Premiere am New Yorker Broadway gibt ihm dazu die Möglichkeit. Hat er mit seinem neuen Stück4 als Regisseur und vor allem als Schauspieler Erfolg, so kann das seinem Leben neuen Sinn geben und die Krise überwinden. Darum verfolgt er dieses Ziel mit aller Kraft.

Einige Schwierigkeiten während der Proben erschweren die Situation und werfen in tiefer in die Krise.

  • Kurz vor seiner Premiere fällt der wichtigste Nebendarsteller aus. Sein Freund und Produzent besetzt diese Rolle mit Mike Shiner, schauspielerisch genial aber eine äußerst schwierige Persönlichkeit. Es kommt mit ihm zu emotional dramatischen  Auseinandersetzungen und Raufereien der beiden. Außerdem fürchtet Riggan, Mike könnte ihn schauspielerisch übertreffen. Bei der Vorpremiere steht Mike auf der Titelseite einer Zeitung, Riggan nur klein im Blattinneren. Mike ist unberechenbar, handelt eigenmächtig, bestellt z. B.  ohne Absprache ein Solarium.
    Körperliche Auseinandersetzungen mit Mike

    .

  • In Gesprächen mit seinem Freund und Produzenten Jake stellt sich heraus, dass sie in großen finanziellen Schwierigkeiten stecken, vor allem, wenn das Stück sich als Misserfolg heraustellt. Eine der Gründe sind die hohen finanziellen Forderungen von Mike.
  • Riggan hat seine Tochter Sam als Produktions-Assistentin eingestellt. Sie kam gerade aus dem Entzug, Riggan findet bei ihr wieder Drogen. Die Beziehung der beiden ist nicht gerade harmonisch. Sie kommentiert die Aktivitäten ihres Vaters sehr sarkastisch. Zudem wird sie von Mike angebaggert, flirtet mit ihm, spielt mit ihm „Wahrheit oder Pflicht“.
  • Riggan wird in den sozialen Medien verspottet, er ist versehentlich – nur mit Unterhose bekleidet – auf den Broadway geraten.

Der Ausgang

Riggan mit seiner viel jüngeren Freundin Laura

Gegen Ende kommt es zum Höhepunkt. Die Premiere erfolgt vor ausverkauftem Haus und wird bejubelt. In der Schlussszene schießt sich Riggan, der seine Frau mit seinem Schauspieler-Kollegen im Bett erwischt (das ist Teil des Theater-Stücks), selbst in den Kopf.5

Er fällt um. Das Publikum erstarrt zuerst, dann jubelt und applaudiert es begeistert. Man denkt, es ist nur gespielt, wie vorgesehen, aber der Schuss ist echt.  6

Aber der Schlussszene wird klar, dass er sich nur die Nase weggeschossen hat. Er liegt im Krankenbett mit einem Gesichtsverband über der neuen Nase. Seine Ex-Frau, sein Freund und seine Tochter besuchen ihn. Es herrscht Harmonie im Zimmer, alle Spannungen sind vergessen. Das Stück hatte Erfolg, es wurde begeistert darüber berichtet, sogar von der kritischen Tabitha Dickinson, die vorhatte, das Stück zu ‚zerreißen‘.

Mike und Sam, Riggan’s Tochter

Der ganze Film wirkt etwas surreal, erreicht aber am Schluss den Höhepunkt. Als alle aus dem Zimmer sind, öffnet Riggan das Fenster, steigt aufs Fensterbrett und als seine Tochter Sam wieder hereinkommt, ist das Zimmer leer. Sam sorgt sich zuerst, dann tritt sie zum Fenster, schaut zum Himmel und lächelt. Was ist geschehen? Ist er gesprungen? Warum schaut sie lächelnd zum Himmel? Mit offenen Fragen im Bewusstsein der Zuseher_innen endet der Film.7

Die Interpretation des Ausgangs

Dieses surreale Ende wird unterschiedlich interpretiert:8

Der Regisseur, Alejandro González Iñárritu, vertritt die Meinung, es gibt so viele verschiedene Interpretationen, wie Sessel im Kino.8

Kann Riggan wirklich fliegen?

Julian Limmer fasst folgende Interpretations-Alternativen zusammen.

  • Das happy end: Riggan fliegt tatsächlich, er hat die paranormale Fähigkeit dazu und sich mit seinem Alter-Ego vereint. Ein Fantasy-Ende.
  • Suizid durch Erschießen: Riggan begeht auf der Bühne Suizid: Er erschießt sich auf der Bühne. Dann erfolgt im Film ein Cut. Was danach folgt, spielt sich im Riggns Kopf ab.
  • Suizid (durch Sprung aus dem Fenster) und Trauma der Tochter: Riggan hat den Schuss überlebt, nimmt sich aber das Leben, indem er aus dem Krankenzimmer in den Tod springt. Als die Tochter dann ihren Vater auf der Straße liegen sieht, erleidet sie selbst ein Traume und halluziniert ihren fliegnden Vater.

Zum Film

Multiple Persönlichkeitdissoziative Persönlichkeitsstörung: Mehrere Persönlichkeitsanteile, die nichts voneinander wissen. Bild: Bahasa Indonesia10
Der Film ist ein klassisches Psycho-Drama und enthält gute Charakter-Studien.

Entwicklungs-Themen im Film

  • Hauptthema: Late-life crisis
  • Entwicklungs-Film
  • Entwicklungs-Krise, Midlife-Krise
  • Sinn finden, Bedeutung suchen
  • Film mit mehrdeutigem Ausgang
  • Persönlichkeits-Störung, Borderline, Schizophrene Störung
  • innerer Anteil, innere Störung, gespaltene Persönlichkeit, dissoziative Identitätsstörung (dissoziative Identitätsstruktur), multiple Persönlichkeit, Teilpersönlichkeit
  • vorgetäuschte Schwangerschaft
  • Vater-Tochter-Beziehung, geschiedene Ehe, Beziehung zur Ex-Partner_in
  • (fehlende) Abgrenzung, Einmischung, Grenzen überschreiten, übergriffiges Verhalten, Distanzlosigkeit
  • berufliche Zusammenarbeit in der Familie
  • Sucht, Entzug

Daten und Cast

  •  (Künstler-)Drama, Psycho-Drama, Tragikkomödie,schwarze Komödie, Backstage-Film, (Branchen-)Satire, mit Fantasy-Elementen
  • USA 2014, 119 Minuten, 101
  • Regie: Aljandro Gonzalez Inarritu (Babel, 21 Gramm)
    .
  • Michael Keaton: Riggan Thomson – Birdman, Drehbuchschreiber,11 Regisseur und Hauptdarsteller des Theater-Stücks, hört Stimmen des ‚inneren Birdman‘,
    Hinweise auf Persönlichkeits-Störungen aus dem Schizophrenie-Spektrum. Er sagt zu Mike, er hätte eine schwere Kindheit ghabt, wurde vom Vater missbraucht – später sagt er, das habe er nur gespielt.
  • Birdman: innerer Anteil, innere Stimme von Riggan, identifiziert sich mit der Superhelden-Rolle der Birdman Filme 1 – 3. Er torpediert das laufende Projekt, wirft Riggan vor, dass er Birdman 4 abgelehnt hat. Die Smbolfigur ist ein Raubvogel, der manchmal ‚real‘ sichtbar wird.
  • Zach Galifianakis: Jake – Riggan’s Freund und Produzent, der Vernünftige am Set, er hält alles zusammen
  • Edward Norton: Mike Shiner – übernimmt kurzfristig die Nebenrolle im Theater-Stück, ist egozentrisch, ’schwieriger Mensch‘, cholerisch, Hinweise auf Borderline-Persönlichkeits-Störung (Störung der Affektregulation)
  • Andrea Riseborough: Laura, Riggan’s Freundin, viel jünger als er, spielt die weibliche Hauptrolle. Sie täuscht eine Schwangerschaft vor, nimmt das später wieder zurück.
  • Amy Ryan: Sylvia, Riggan’s Ex-Frau, kommt immer wieder zu den Proben
  • Emma Stone: Sam Thomson – Riggan’s Tochter, Produktions-Assistentin, war auf Entzug, setzt sich auf das Balkon-Geländer um Adrenalin auszuschütten – als Ersatz für Drogen.
  • Naomi Watts: Lesley, Mike’s Ex-Freundin und Schauspieler-Kollegin am Set, holt ihn als Ersatz für den ausgefallenen Schauspieler zum Stück, kämpft mit ihrem Selbstwert, fühlt sich als kleines Kind
  • Merritt Wever: Annie
  • Lindsay Duncan: Tabitha Dickinson (Tabby) – kritische Kritikerin für die New York Times. Sie sagt Riggan, sie werde sein Stück verreißen.

 

Links

o. A.: Birdman. Aus: imdb.de. https://www.imdb.com/title/tt2562232/.

o. A.: Birdman. Aus: filmstarts. http://www.filmstarts.de/kritiken/216633/kritik.html.

o. A.: Birdman. Aus: fox.de. http://www.fox.de/birdman.

o. A.: Birdman. Aus: epd-film.de. https://www.epd-film.de/filmkritiken/birdman-oder-die-unverhoffte-macht-der-ahnungslosigkeit.

Julian Limmer: Birdman: Handlung und Ende einfach erklärt. Aus chip.de. https://www.chip.de/artikel/birdman-handlung-und-ende-einfach-erklaert_106692.

Ian Haydn Smith: Birdman (2017). In: Steven Jay Schneider (Hrsg.): 1001 Filme, die Sie sehen sollten, bevor das Leben vorbei ist. Olms 2017  (1001 Movies You Must See Before You Die. New York 2015.)

 

Psychopathologie, Persönlichkeits-Störungen, Borderline, Dissoziative Identitätsstörung (DIS) / Multiple Persönlichkeit

o. A.: „Viele-sein“. Aus: vielfalt-info.de. https://vielfalt-info.de/index.php/viele-sein.

Andrew Skodol: Persönlichkeitsstörungen im Überblick. Aus: MSD Manual. https://www.msdmanuals.com/de-de/profi/psychische-st%C3%B6rungen/pers%C3%B6nlichkeitsst%C3%B6rungen/pers%C3%B6nlichkeitsst%C3%B6rungen-im-%C3%BCberblick.

Martin Bohus, Christian Schmahl: Psychopathologie und Therapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Aus: aerzteblatt.de. 2009. https://www.aerzteblatt.de/archiv/64189/Psychopathologie-und-Therapie-der-Borderline-Persoenlichkeitsstoerung.

Martin Bohus, Markus Reicherzer: Ratgeber Borderline-Störung. Aus hogrefe.de. https://www.hogrefe.de/shop/ratgeber-borderline-stoerung-65480.html.

o. A.: Diagnostik der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Aus: neurologen-und-psychiater-im-netz.org. https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/psychiatrie-psychosomatik-psychotherapie/stoerungen-erkrankungen/borderline-stoerung/diagnostik/.

 

Midlife and Late-Life Crisis

  1.   Der Film erhielt 4 Oscar-Auszeichnungen – incl. Bester Film und Beste Regie, 5 weitere Oscar-Nominierungen, 2 Golden Globes, César 2016, …
  2.   incl. 2 Sequels
  3. Vgl.  Ian Haydn Smith: Birdman (2017). In: Steven Jay Schneider (Hrsg.): 1001 Filme, die Sie sehen sollten, bevor das Leben vorbei ist
  4.   Das Stück ist eine Bearbeitung einer Kurzgeschichte von Raymond Carver: What We Talk about when We Talk about Love.
  5.   Zuvor bedroht er die beiden mit einer Pistole. Dann sagt er zu sich: „Was ist los mit mir? Wieso muss ich alle anbetteln, um geliebt zu werden?  … Ich wollte nur so sein, wie du wolltest. … Jetzt versuch ich jede Minute jemand anders zu sein, aber der bin ich nicht. … (Nachdem sie ihm sagt, dass sie ihn nicht mehr liebt:) Ich existiere nicht. Ich bin nicht mehr hier. … (Dann tritt er an den Rand der Bühne, vor’s Publikum und schießt.)“ 
  6.   Jetzt erfolgt ein Cut. Surreale, transzendente Bilder kommen: Ein Licht streift über den dunklen Himmel, wie ein Komet – betrachtet hinter einem dunklen Baum. Ist es die Seele, die zum Himmel fährt? Transzendente Szenen aus dem Birdman-Fantasy Film. Ein leeres Schlafzimmer, erhellt von einer roten Lampe. Schwarze Vögel, die sich auf Meeresfelsen niederlassen. …
  7. Die letzte Szene etwas genauer dargestellt: “ Zu Beginn der Schluss-Szene sieht man Riggan’s Exfrau in einem Krankenzimmer. Sie sieht geistesabwesend aus dem Fenster, daneben viele Blumen. Es klopft und sein Co-Produzent kommt herein, und freut sich. „Mein bester Freund lebt.“ Und er hat eine Zeitung mit. Auf der Titelseite ein großes Bild von Riggan mit der Überschrift (The Unexpected Virtue of Ignorance“ (Der Titel des Films.) Der dazugehörige Artikel stammt von Tabitha Dickinson, der unerbittlichen (Theater-)Kritikerin von Riggin: „Thomson hat unbeabsichtlicher Weise  eine neue Kunstform geschaffen. Bezeichnen kann man diese nur als Super-Realismus. Es wurde sowohl buchstäblich als auch metaphorisch von Künstlern und Zuschauern echtes Blut vergossen. …“
    Riggin hat sich offensichtlich nur die Nase weggeschossen und liegt jetzt im Krankenbett. Er hat eine neue bekommen. Seine Geschichte hat Furore gemacht. Sie wird auf vielen TV-Kanälen gesendet.

    Reporter wollen ins Krankenzimmer stürmen und ihn fragen, ob er sich erschießen wollten. Sie werden hinausgedrängt, aber Riggan’s Tochter Sam kommt durch. Sie ist alleine alleine mit Riggin im Zimmer und hat ihm Blumen mitgebracht, einen Flieder-Strauß. Er zieht die Luft durch die Nasenlöcher seines Verbandes ein, aber er kann nichts riechen. Seine Tochter macht ein Foto von ihm und postet es auf einem Twitter-Account, den sie für ihn eingerichtet hat. Und er hat in weniger als einem Tag mehr als 80.000 Follower gewonnen. Vertrauensvoll legt sie ihren Kopf auf die Brust ihres verletzten Vaters.

    Als sie dann hinausgeht, um für die Blumen eine Vase zu holen, beseitigt Riggan den Gesichts-verband und betrachtet seine neue Nase im Spiegel. Sie scheint völlig unverletzt. Der Symbolvogel von Birdman, Figur seines Alter-Ego, erscheint kurz im Badezimmer und verschwindet wieder.

    Riggan schaut aus dem Fenster seines Zimmer. Etwas am Himmel scheint seine Aufmerksamkeit zu erregen. Er öffnet das Fenster, zögert einen Augenblick und schließt die Augen. Dann steigt er aufs Fensterbrett, so, als würde er hinunter springen oder wegfliegen wollen. Lächelnd verklärt schaut er zum Himmel.

    Unmittelbar darauf kommt die Tochter wieder herein, das Zimmer ist leer. Besorgt eilt sie zum offenen Fenster, schaut hinunter, sieht ihn nicht, schaut zum Himmel und lächelt. Damit endet der Film.

  8.   Vgl.   Julian Limmer: Birdman: Handlung und Ende einfach erklärt. 
  9.   Vgl.   Julian Limmer: Birdman: Handlung und Ende einfach erklärt. 
  10.   Bahasa Indonesia: „Bahasa Indonesia: (approximate translation): „illustration depicting an individual with dissociative identity disorder.“ this is as best as we can establish a persons impression of the condition, not necessarily based on their lived experience or their clinical experience dealing with it in others. its use should not imply any expertise in the subject on the part of the artist.“
  11.   Das Drehbuch basiert auf  einer  Kurzgeschichte in der Sammlung von Raymond Carver: What We Talk About When We Talk About Love 

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