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Der Köder muss dem Fisch schmecken,
nicht dem Fischer.1
(Wie aber kann ich wissen, was dem Fisch schmeckt?)

In der Vanitas-(Stillleben-)Malerei wird Empathie mit Objekten angestrebt, um sie lebendig zu machen. Hier ein Vanitas-Bild von Nicolas Poussin: Die arkadischen Hirten von Nicolas Poussin (2. Fassung, 1628 Louvre), bei dem die Hirten empathisch mit einem antiken Grabmal (Symbol des Vergänglichen) und dessen Inschrift („et in arcadia ego„, einem Ausspruch des Todes: „Ich bin auch in Arkadien“) verbunden sind.

Empathie wird selten als zentrale Führungskompetenz gesehen. Nur in wenigen Führungsansätzen, wie im Konzept von Robert K. Greenleaf: „Führung als Dienen“ (Servant Leadership)2 3 4 5 6 nimmt die Empathie eine wichtige Stelle ein. Spears listet „empathy“ nach „listening“ an die zweite Stelle der Kompetenzen, die wichtig für gute Führung sind.7

Was ist Empathie und was ist ein Empathie Gap?

Empathie, umgangssprachlich auch „Einfühlungsvermögen“ genannt, ist die Fähigkeit von Menschen sich in andere Menschen (und sich selbst) hineinzudenken (rationale Empathie) und hineinzufühlen (emotionale Empathie). Oft wird noch eine aktionale Variante, die über Denken und Fühlen hinausgeht und zu prosozialem Handeln (z. B. Hilfestellung) führt, erwähnt. Diese wird auch als „Mitgefühl“ bezeichnet.8 Mit „Mitgefühl“ bzw. „Mitgefühlen“ wird jedoch auch eine ganze Gruppe von Gefühlen bezeichnet, zu der z. B. auch das Mitleid zählt.

Es geht bei Empathie also darum,

  • zu erfassen, was eine andere Person denkt,
  • was sie fühlt und
  • mitfühlend zu handeln / zu reagieren.

Empathie Gap (Empathie-Lücke) bezeichnet einen Mangel an Empathie gegenüber Anderen, aber auch gegenüber sich selbst.

Empathie gegenüber sich selbst meint, dass man oft nicht fähig ist, sich in zukünftige Zustände von sich selbst hineinzufühlen oder -zudenken. Wir machen beispielsweise einen Plan zum Abnehmen in einem gesättigten Zustand. Der Plan läuft schief, weil wir in einem hungrig in einem anderen emotionalen und mentalen Zustand sind, in dem andere psychische Gesetze die Oberhand gewinnen und so ertappen wir uns selbst, wie wir bei vollem Bewusstsein des Planes zum Eisschrank schreiten, Lebensmittel herausnehmen und essen und vielleicht denken, dass es auf das eine Mal ja nicht ankommt und wir morgen anders entscheiden werden. Man nennt dies auch den „hot-cold empathy gap“9. D.h., wir entscheiden anders, wenn wir in einem „heißen“ emotionalen bzw. mentalen Zustand sind, z. B. wütend, hungrig, sexuell erregt, als in einem „kalten“, logisch, rationalen Zustand.

Anwendung in den Wirtschaftswissenschaften

In den Wirtschaftswissenschaften wird dieser Effekt vor allem in der Werbung bzw. im Marketing diskutiert und angewendet.10 Traub weist in diesem Zusammenhang auf eine Studie von Capgemini hin:

„Eine Studie von Capgemini gezeigt, dass 75% der Unternehmen glauben, kund:innenorientiert zu sein, aber nur 30% der Kund:innen dies auch bestätigen.“11

Die fehlende Kund:innen-Orientierung zeigt sich oft in der (fehlenden) Benutzer:innen-Freundlichkeit. Viele Unternehmen definierten Benuter:innen-Freundlichkeit nach ihren eigenen Kriterien, nicht nach den Kriterien der Benutzer.

„Der Empathy Gap wird dann zum Problem, wenn er – wie die Studie von Capgemini zeigt – dazu führt, dass sich ein großer Teil der Nutzer:innen nicht verstanden fühlt und dem Unternehmen nicht das nötige Vertrauen schenkt, ihr Problem zu lösen. Dabei wären im branchenübergreifenden Durchschnitt 80% der Kundschaft gewillt, für eine bessere Nutzer:innenerfahrung mehr zu bezahlen. Diesen Umsatz lassen sich viele Firmen entgehen.“11

Führung / Leadership

Ersetzt man Kund:innen durch Mitarbeiter:innen (MA) und Kund:innen-Orientierung durch Mitarbeiter:innen-Orientierung so gilt ähnliches. Viele Führungskräfte glauben MA-orientiert zu führen, machen das aber nach ihren Vorstellungen, nicht nach den Vorstellungen ihrer MA.

Welche Führungskraft hat z. B. ihre MA schon gefragt, wie sie geführt werden wollen. Das wäre doch für die Führungskraft eine wichtige Orientierung im Führungsprozess. Ich kenne nur wenige, die das getan haben.

Führung ist zielbezogene, bewusste Beeinflussen. Will ich jemanden oder etwas beeinflussen, so sollte ich dieses ‚Objekt‘ kennen, es erforschen.  Dazu ist aber Empathie notwendig. Ein Empathie-Gap verhindert dies.

Literatur und Links

Empathie / Mitgefühl

Tania Singer, Matthias Bolz (Hrsg.): Mitgefühl in Alltag und Forschung. Max-Plank-Gesellschaft. München 2012. (full text).

Chr. Demmerling, H. Landweer: Philosophie der Gefühle. Von Achtung bis Zorn. J.B. Metzler, Stuttgart, Weimar 2007.

Lothar Samson: Mitleid. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie online. (DOI: 10.24894/HWPh.7965.0692.) www.schwabeonline.ch. DOI: 10.24894/HWPh.2545.  https://www.schwabeonline.ch/schwabe-xaveropp/elibrary/start.xav?start=%2F%2F%2A%5B%40attr_id%3D%27hwph_productpage%27%5D#__elibrary__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27verw.mitleid%27%5D__1680569324511. (Empathie-Forschung in den Neurowissenschaften)

 

 

Empathy Gap

Timon Traub: Empathy Gap. Die Lücke zwischen Vorstellung und Realität. Aus:
www.haufe-akademie.de. Aktualisiert am

o. A.: Why do we mispredict how much our emotions influence our behavior?. The Empathy Gap, explained. thedecisionlab.com. 2022. https://thedecisionlab.com/biases/empathy-gap.

Susan Newman (2016, February 8). Understanding and Mastering the Empathy Gap. 6 Ways to close the Empathy Gap. Psychology Today. 2016, February 8. https://www.psychologytoday.com/ca/blog/singletons/201602/understanding-and-mastering-the-empathy-gap.

o. A.: The Empathy Gap: Why People Fail to Understand Different Perspectives. (n.d.). Effectiviology – Psychology and philosophy you can use. Aus:  https://effectiviology.com/empathy-gap/#Types_of_empathy_gaps.

Loewenstein, G., O’Donoghue, T., & Rabin, M. (2003). Projection bias in predicting future utility. The Quarterly Journal of Economics, 118(4), 1209-1248. https://doi.org/10.1162/003355303322552784.

Loewenstein, G. (2005). Hot-cold empathy gaps and medical decision making. Health Psychology, 24(4), S49-S56. https://doi.org/10.1037/0278-6133.24.4.s49.

 

Servant Leadership

Robert K. Greenleaf: The Servant as Leader.  The Robert K Greenleaf Center, 1970. (Neuauflage 2015) (Textproben in Kindle 2014)

Robert K. Greenleaf: The Power of Servant Leadership.  Essays. Berrett-Koehler Publishers. San Franzisco 2014.

o. A.: What is Servant Leadership? Aus: www.greenleaf.org. (offizielle Website des Center for Servant Leadership.)  https://www.greenleaf.org/what-is-servant-leadership/#:~:text=In%20that%20essay%2C%20Greenleaf%20said,one%20to%20aspire%20to%20lead.

Leonhard J. Schnorrenberg, Hans H. Hinterhuber, Anna Maria Pircher-Friedrich, Heinz K. Stahl (Hrsg.): Servant Leadership. Prinzipien dienender Unternehmensführung. Erich Schmidt Verlag, 2. Auflage. 2014.

Esra Çakmak, Özge Öztekin, Engin Karadağ: The Effect of Leadership on Job Satisfaction. In: Leadership and Organizational Outcomes. Meta-Analysis of Empirical Studies. Springer International Publishing, Cham 2015. S. 29–56, doi:10.1007/978-3-319-14908-0_3 (springer.com [abgerufen am 8. August 2018]).

Fons Trompenaars, Ed Voerman: Servant-Leadership across cultures. Harnessing the Strengths of the World’s Most Powerful Management Philosophy. McGraw-Hill. New York et al. 2010. (1 – Infinite Ideas, Infinite Ideas Limited. Oxford 2009).

Tran, D.Q., Spears, L.C.: Servant-Leadership and Community. Humanistic Perspectives from Pope John XXIII and Robert K. Greenleaf. Humanist Manag J 5, 117–131 (2020). https://doi.org/10.1007/s41463-020-00089-4.

Spears, Larry C. 1995. Introduction: Servant-leadership and the Greenleaf legacy. In Larry C. Spears ed.: Reflections on leadership. How Robert K. Greenleaf’s Theory of Servant-Leadership Influenced Today’s Top Management Thinkers. 1–16. New York: Wiley. (Darin: „ten critical characteristics of servant-leadership„, S. 4 ff.)

Spears, Larry C. 1995. Character and Servant Leadership. 10 Characteristics of Effective, Caring Leaders. In The Journal of Virtues and Leadership, Vol. 1, Issue 1.

o. A.: Servant Leadership. Putting Your Team First, and Yourself Second. Aus: www.mindtools.com. https://www.mindtools.com/pages/article/servant-leadership.htm.

Parris, D., & Welty Peachey, J. (2013). A systematic literature review of
servant leadership theory in organizational contexts. Journal of Business
Ethics, 113(3), 377-393. https://doi.org/10.1007/s10551-012-1322-6.
(pdf – full text in: shareok.org. https://shareok.org/bitstream/handle/11244/326627/Parris%20and%20Welty%20Peachey%202013%20JBE%20Postprint.pdf?sequence=1.)

Houghton, David and Joinson, Adam and Caldwell, Nigel and Marder, Ben (2013) Tagger’s delight? Disclosure and liking in Facebook. the effects of sharing photographs amongst multiple known social circles. Discussion Paper. University of Birmingham, Birmingham. Aus: http://epapers.bham.ac.uk/1723/1/2013-03_D_Houghton.pdf. Auch aus: epapers.bham.ac.uk. http://epapers.bham.ac.uk/1723/.

 

Ergänzende Literatur-Hinweise:

Dirk van Dierendonck: Servant Leadership – A Review and Synthesis. In: Journal of Management. July 2011 (37), S. 1228–1261.

Emily M. Hunter, Mitchell J. Neubert, Sara Jansen Perry, L. A. Witt, Lisa M. Penney, Evan Weinberger: Servant leaders inspire servant followers – Antecedents and outcomes for employees and the organization. In: The Leadership Quarterly. 2013 (24), S. 316–331.

Markus Krost, Boris Kaehler: Servant Leadership – Die Führungskraft als Diener? In: Personalführung. Heft 6/2010, S. 54–56.

 

Gary A. Yukl: Leadership in Organizations. 8. Auflage. Pearson, Boston u. a. 2013, S. 336–338.

  1. Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Fischer.
    Sprichwort;
    Dieses im Bereich Werbung und Marketing angesiedelte geflügelte Wort stammt von Helmut Thoma, Programmchef von RTL plus, der damit die kommerzielle Sichtweise des privaten Fernsehsenders zum Ausdruck brachte.
    Im Jahr 1990 sagte er in einem Interview mit dem „Spiegel“ im Hinblick auf die Programminhalte: ‚Der Zuschauer darf sich seine Regierung wählen, also auch sein Fernsehprogramm. Ich wundere mich auch hin und wieder über die Wahl, aber der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler. Und wir diskutieren aus der Angler-Perspektive“Aus: redensarten-index.
  2.   Zum Servant Leadership-Ansatz vgl. z. B. Robert K. Greenleaf: The Servant as Leader.  Robert K. Greenleaf: The Power of Servant Leadershipo. A.: What is Servant Leadership?  
  3.   Empirische Belege zum Servant Leadership-Ansatz finden sich z. B. in  Esra Çakmak, Özge Öztekin, Engin Karadağ: The Effect of Leadership on Job Satisfaction. (Starker Zusammenhang zur MA-Zufriedenheit). Fons Trompenaars, Ed Voerman: Servant-Leadership across cultures.  
  4. Literature Review (Servant Leadership): Parris, D., & Welty Peachey, J. (2013). A systematic literature review of servant leadership theory in organizational contexts.   
  5.   10 critical characteristics of servant-leadership: 
    1. Listening.
    2. Empathy.
    3. Healing.
    4. Awareness.
    5. Persuasion.
    6. Conceptualization.
    7. Foresight.
    8. Stewardship.
    9. Commitment to the growth of people.
    10. Building community.

    Aus: Spears, Larry C. 1995. Introduction. In Larry C. Spears ed.: Reflections on leadership. S. 4 ff. Siehe auch: o. A.: Servant Leadership.  

  6.   Kurze Zusammenfassung: The servant leader:

    „As a servant leader, you’re a „servant first“ – you focus on the needs of others, especially team members, before you consider your own. You acknowledge other people’s perspectives, give them the support they need to meet their work and personal goals, involve them in decisions where appropriate, and build a sense of community within your team. This leads to higher engagement, more trust, and stronger relationships with team members and other stakeholders. It can also lead to increased innovation.“
    o. A.: Servant Leadership.

  7.   Führung im Sinn von „servant leadership“ vgl. Spears, Larry C. 1995. Introduction. In Larry C. Spears ed.: Reflections on leadership. S. 4 ff. Siehe auch: o. A.: Servant Leadership.  
  8.   Vgl.  z. B. den Beitrag von Olga Klimecki u. a. in: Tania Singer, Matthias Bolz (Hrsg.): Mitgefühl in Alltag und Forschung. Kap. 15  
  9.   Vgl. Loewenstein, G. (2005). Hot-cold empathy gaps and medical decision making. Vgl. auch o. A.: Why do we mispredict how much our emotions influence our behavior?.
  10.   Vgl. z. B. Timon Traub: Empathy Gap
  11.   Aus: Timon Traub: Empathy Gap
  12.   Aus: Timon Traub: Empathy Gap

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