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Dieser Beitrag zeigt einen Grobablauf für Konfliktgespräche bzw. Konflikt-Moderation und -Coaching bzw. Mediation und verbindet ihn mit dem Konzept der Konflikt-Temperatur.

Sandro Botticelli: Das Urteil des Paris (Il Giudizio di Paride), ca. 1485/88: Eine berühmte Konflikt-Szene der griechischen Mythologie: Paris soll den goldenen Apfel der schönsten der drei Göttinnen (Hera, Athene, Aphrodite) übergeben. Er übergibt den Zankapfel Aphrodite, der Göttin der Liebe. Sie verspricht ihm dafür die Liebe der schönsten Frau der Welt. Das war damals Helena, die Gattin des Sparta-Königs. Die Realisierung des Versprechens löst den Trojanischen Krieg aus.

Ein sinnvoller Ablauf sowohl bei Konflikt-Moderationen (und Konflikt-Coachings) als auch in Konflikt-Gesprächen ist – neben einer Anfangs- und Abschlussphase – eine Trennung in zwei Abschnitte 1

  • einem ersten, heißen Abschnitt der emotionalen Selbstoffenbarung und
  • einem zweiten cooleren Abschnitt der rationalen Analyse, kreativen Lösungssuche, Verhandlungen und pragmatischen Vereinbarungen.

1. Abschnitt: Emotionale Selbstoffenbarung

im ersten Abschnitt ist wichtig, dass „alles auf den Tisch kommt“, alle Konflikt-Ereignisse (-Episoden) samt ihrem emotionalen Erlebnis-Gehalt: Was hat sich alles ereignet? Wie wurde es von den beiden Konfliktpartnern erlebt? Wie wurde es von ihnen interpretiert und ‚konstruiert‘ (Rekonstruktion aus der jeweiligen Perspektive)? 2

In dieser Phase ist auch wichtig,

  • dass möglichst alle Konflikt-Ereignisse besprochen werden,
  • dass Gefühle ausgedrückt werden,
  • dass Verständnis bei allen Parteien entsteht,
  • dass auch die eigenen Anteile e werden,
  • dass Absicht und Wirkung unterschieden werden.
Rekonstruktion der Konflikt-Episoden
Konflikt

Es sollen im ersten Abschnitt möglichst alle wichtigen Ereignisse / Episoden besprochen werden. In einem ersten Schritt ist daher oft ein erster oder vorgelagerter Schritt eine Sammlung der Konflikt-Episoden 3: Wie ist der Konflikt entstanden und was ist danach alles geschehen? Bei einer Konflikt-Moderation erfolgt das häufig in vorgelagerten Diagnosegesprächen getrennt mit den beiden Konflikt-Parteien.  Die Darstellung der Ereignisse ist jeweils eine Rekonstruktion aus der eigenen Perspektive.4 Das heißt, es werden von den beiden Kontrahenten jeweils kontroverse Geschichten erzählt. Manchmal so unterschiedlich, dass man kaum erkennt, dass es sich um den gleichen Konflikt handelt. Das heißt aber nicht, dass eine der beiden oder beide lügen, es ist bloß eine Darstellung aus einer anderen Sicht, einer anderen Perspektive, anderen Interessen und anderen Wahrnehmungen. Es gilt, diese kontroversen Geschichten gemeinsam zu erforschen und dabei nicht in eine Debatte zu kommen, wer recht hat.5

Verständnis

Die Schilderung der Ereignisse sollte so erfolgen, dass eine Partei (A) berichtet und die andere (B) zuhört und versucht, die andere Perspektive zu verstehen. In einer zweiten Runde erfolgt das dann mit umgekehrten Vorzeichen. Bei der Moderation ist es Aufgabe des Moderators, dafür zu sorgen, dass diese Regel eingehalten wird. Die Qualität des Verstehens kann einfach überprüft werden, indem die zuhörende Partei am Ende der Schilderung die (Konstruktion der) Episode mit eigenen Worten wiederholt. und zwar so, dass die andere Partei zustimmt und sich – zumindest im Prinzip – in dieser Schilderung verstanden fühlt. Wichtig ist, dass es nicht darum geht „die Wahrheit“ nachzuerzählen, sondern zu berichten, „was sich im Kopf der Anderen befindet“, was seine oder ihre „Wahrheit“ ist.

Emotionaler Ausdruck

Die Schilderung sollte so erfolgen, dass auch der emotionale Gehalt des Erlebens der jeweiligen Partei zum Ausdruck kommt. Es sollte zum Ausdruck kommen, wie sich die jeweilige Partei geärgert hat, was sie zornig gemacht hat, wie sie enttäuscht war, sich hilflos gefühlt hat, verzweifelt war oder was auch immer der emotionale Gehalt war.  Hilfreich ist, wenn nicht über die Gefühle cool berichtet wird, sonder wenn die jeweilige Stimmung oder Emotion auch zum Ausdruck kommt, ohne jedoch die andere Partei dabei (erneut) zu provozieren und zu verletzen. 6. Der jeweilige emotionale Gehalt sollte spürbar, erlebbar für alle werden. Dadurch wird der jeweils schildernden Partei ein gewisses Maß an Katharsis, an Befreiung von diesen Gefühlen ermöglicht. Die emotionale Ladung wird geringer. „Ich habe meine Gefühle den Anderen zeigen können und sie wurden erlaubt / akzeptiert.“ 7

Gelingt dieser Ausdruck auf adäquate Weise, so zeigt dies meist positive emotionale Wirkungen. „Gefühle ausdrücken ohne emotional zu werden“ kann hier als Motto gelten. Das Zuhören ist für die andere Partei nicht einfach, weil häufig durch die emotionale Schilderung auch Gefühle und Emotionen in dieser Konflikt-Partei entstehen – und auch der innere Druck, sofort – meist auch emotional – zu reagieren und etwas ‚richtigzustellen‘. Es geht aber in dieser Phase nicht um eine Richtigstellung der Wahrheit, sondern um ein Verstehen der Konstruktionen und Erlebnisse des Gegenübers. Hier hat der Moderator die wichtige und oft nicht einfache Aufgabe, für ein entsprechendes ‚Gesprächsklima‘ zu sorgen, die den Ausdruck und den Austausch ermöglicht.

Eigene Anteile

Gelingt es, die Konstruktionen der beiden Konflikt-Parteien mit ihrem emotionalen Gehalt auszutauschen und ein Verständnis füreinander zu fördern, so wird meist (fast von selbst) klar, dass man im Konflikt auch eigene Anteile hatte. Nicht die andere Partei ist schuld an der Entstehung und Eskalation des Konflikts, sondern beide Parteien hatten – oft ohne Absicht – ihre Anteile. Diese Einsicht, dass es der anderen Partei nicht um eine verletzende oder abwertende Absicht gegangen ist und dass man auch eigene Anteile hatte, ist ein wichtiges Ergebnis dieses ersten Abschnitts und eine Voraussetzung für eine konstruktive Weiterarbeit. Man erkennt, dass man mit eigenen Äußerungen und Handlungen auch die andere Partei abgewertet oder verletzt oder beleidigt … hat. Es geht nicht um Schuldzuweisungen, sondern um Erkennen der Anteile.

Absicht und Wirkung

Bei der Konflikt-Moderation und bei Konflikt-Gesprächen sollte man zwischen Absicht und Wirkung unterscheiden.8 Wir wurden vielleicht von anderen beleidigt, abgewertet oder (psychisch) verletzt. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass dies auch die Absicht unseres Gegenübers war, egal, ob es sich um einen interpersonalen Konflikt (zwischen zwei Personen) oder einen Inter-Gruppen-Konflikt (zwischen zwei Gruppen bzw. sozialen Systemen) handelt.

Im allgemeinen besteht die Tendenz, dass wir in konfliktären Situationen die Absichten unseres Gegenüber dämonisieren und die eigenen Absichten beschönigen. Umgekehrt ist es bei den Wirkungen. Wir beschönigen in Konflikten die Wirkung unserer Handlungen auf Andere und dämonisieren die Wirkung der Handlung Anderer auf uns.

Was wir bestenfalls 9 kennen sind

  • unsere Absichten und
  • die Wirkung der Handlung Anderer auf uns.

Was wir definitiv nicht kennen sind

  • Die Absichten unserer Kontrahenten und
  • die Wirkung unserer Handlungen auf Andere.

Über letztere können wir zwar Hypothesen machen, Vermutungen anstellen, das ist ’normal‘. Aber wir müssen sie auch als solche behandeln und nicht als Tatsachen. Und es gilt, im Laufe des Prozesses der Konfliktlösung die Absichten unseres Gegenübers zu erfragen und zu ergründen / erforschen. Und ebenso die Wirkung unserer Handlungen auf die Anderen. Mit anderen Worten: Wir nehmen bei Anderen das Schlimmste an, bei uns selbst aber sind wir aber sehr nachsichtig. Und es gibt noch etwas, das dies noch verstärkt: Es ist unsere Tendenz, die (angenommene) schlechte Absicht des Anderen mit seinem schlechten Charakter gleichzusetzen, nach dem Motto: „Er hat mich absichtlich verletzt, weil er ein schlechter Mensch ist.“

2. Abschnitt: Sachliche Analyse, Lösung, Vereinbarung

Wenn dann aus der ersten Phase ‚alles auf den Tisch gelegt‘ wurde, was für den Konflikt relevant ist, dann sollten vor allem die Unterschiede herausgefiltert und Lösungen ausverhandelt und in Vereinbarungen festgelegt werden.

Rationale Analyse

Nach der Besprechung der Konflikt-Episoden ist der Konflikt emotional zwar meist noch nicht bereinigt aber beruhigt, auf einem niedrigeren emotionalen Level, sodass jetzt im Regelfall ‚vernünftig‘ gearbeitet werden kann.

Im ersten Schritt geht es um eine Sammlung bzw. Ergänzung der Konfliktpunkte. Im Regelfall wurden sie schon in der vorigen Phase mehr oder weniger systematisch gesammelt, dann geht es darum, sie auf (annähernde) Vollständigkeit zu überprüfen und bei Bedarf zu ergänzen. Es folgt eine gemeinsame Analyse der Gemeinsamkeiten und Unterschiede: Wo sind wir uns einig und wo gibt es Differenzen? Und welche Prioritäten haben sie. Es entsteht sozusagen ein weiteres Arbeitsprogramm.

Kreative Lösungen

Ist das Arbeitsprogramm festgelegt, so geht es nun darum für die einzelnen Punkte (Lösungs-)Alternativen zu suchen und zu finden. Aus meiner Erfahrung lohnt es sich, Alternativen zu suchen, ohne sie sofort zu bewerten – und meist zu verwerfen. Dies wird auch im Harvard-Konzept der Verhandlungsführung betont:

Es gibt fast immer Alternativen / Entscheidungsoptionen, was vielfach erst im Laufe des Prozesses klar wird. Zu Beginn ist man meist der Meinung, es gibt nur Option A (bevorzugt von Partei A) oder Option B. Ein kreativer Prozess um weitere Optionen zu suchen wird meist zu Beginn unterschätzt („hat wenig Sinn“), stellt sich aber häufig im weiteren Verlauf als sehr nützlich heraus. 10. Manchmal werden durch diesen kreativen Prozess Lösungen gefunden, die beide Konfliktparteien voll befriedigen (Konsens). In der Regel ist jedoch ein Verhandlungsprozess notwendig, in dem beide Parteien bestimmte Punkte durchsetzen und bei anderen nachgeben. Wenn diese Lösungen ‚halten‘ sollen, so ist auf ein Gleichgewicht von Geben und Nehmen zu achten. Ein sehr nützliches und brauchbares Instrument dafür ist das „Rollenverhandeln“ von Harrison.

Pragmatische Vereinbarungen

Die Verhandlungen sollten schließlich in konkrete pragmatische Vereinbarungen münden, mit denen sich beide Parteien identifizieren können. In der Regel sollten diese Vereinbarungen schriftlich dokumentiert werden. Meist sind es Aktionspläne (Wer macht was bis wann? ev. mit wem?) oder Regeln, z. B. Verhaltensregeln oder Entscheidungsregeln (Wer wird wie bei künftigen Entscheidungen mit einbezogen?)

gemeinsam herausgefiltert / analysiert werden, wo Gemeinsamkeiten und Unterschiede bzw. Konsens- und Konfliktpunkte vorhanden sind, wo man also zu Lösungen bzw. Vereinbarungen / Regeln kommen sollte. Diese sollten dann ausverhandelt und vereinbart werden.

Wenn dann aus der ersten Phase ‚alles auf den Tisch gelegt‘ wurde, was für den Konflikt relevant ist, dann sollte gemeinsam herausgefiltert / analysiert werden, wo Gemeinsamkeiten und Unterschiede bzw. Konsens- und Konfliktpunkte vorhanden sind, wo man also zu Lösungen bzw. Vereinbarungen / Regeln kommen sollte. Diese sollten dann ausverhandelt und vereinbart werden.

Das Harvard-Konzept der Verhandlung

Ein gutes, pragmatisches Konzept für erfolgreiche Verhandlungen liefert das Harvard-Konzept von Roger Fisher, William Ury, Bruce M. Patton11 Es umfasst folgende Prinzipien:

  1. Menschen und Probleme getrennt voneinander behandeln.
  2. Auf Interessen konzentrieren, nicht auf Positionen.
  3. Entscheidungsalternativen (Optionen) zum beiderseitigen Vorteil entwickeln.
  4. Neutrale Beurteilungskriterien anwenden. 12

Ergänzende Hinweise

Die Konflikt-Moderationen bzw. Konflikt-Gespräche bestehen im Regelfall aus mehreren Runden / Gesprächen. Häufig ist es sinnvoll, die beiden Abschnitte in eigenen Gesprächen durchzuführen. Und auch wenn die ‚großen Schrauben‘ justiert sind, sind im Regelfall noch mehrere Gespräche zur Feinjustierung / Feinabstimmung notwendig.

Den ersten Abschnitt habe ich als den emotionalen bezeichnet, weil es hier darauf ankommt, auch Gefühle (konstruktiv) auszudrücken, damit der Konflikt ‚über den emotionalen Berg‘ kommt, der sich aufgestaut hat. In diesem Abschnitt ist es nicht sinnvoll, reine Sachlichkeit zu fordern und die Gefühle wegzulassen.

Der zweite Abschnitt ist sachlicher, analytischer, hier ist es wichtig, den Kopf einzuschalten und analytisch in der Diagnosephase und auch kretativ in der Phase der Findung von Lösungen vorzugehen.

Jeder Abschnitt besteht wiederum aus mehreren Teilphasen und kann unterschiedliche ‚Tools‚ zum Einsatz bringen – z. B. lange Gesprächszyklen, Ich-Botschaften, gewaltfreie Kommunikationstechniken oder analoge / gestalterische Techniken in der ersten und z. B. die Technik des Rollenverhandelns (nach Harrison) im zweiten Abschnitt.

In der Regel läuft der ganze hier dargestellte Prozess nicht so linear wie beschrieben dar, sondern eher in Kreisläufen, manchmal auch etwas chaotisch in Sinne eines ‚Muddling through‚, der sich dem vorläufigen Ende, dem Treffen von Vereinbarungen nähert.

Querverweise

Zusätzliche Literatur und Links

  1.   die wiederum aus mehreren Phasen bestehen
  2. Das ‚Harvard Gesprächs-Projekt‘ bezeichnet diesen Teil des Gesprächs als das „Was-ist-passiert?“-Gespräch – vgl.  Stone et al. Offen gesagt!. (das Harvard-Gesprächs-Projekt).
  3. zum Begriff der Konfliktepisode vgl. Messmer (2003): Der soziale Konflikt. Kommunikative Emergenz und systemische Reproduktion. Stuttgart: Lucius & Lucius, S. 109 ff.
  4. Der jeweilige Bericht ist nicht die Wirklichkeit, sondern die Konstruktion seiner Wirklichkeit. „The map is not the territory. Vgl. dazu auch Keyle Benson: There Are Two Views to Every Conflict and Both Are Valid.
  5. Das ‚Harvard Gesprächs-Projekt‘ stellt dazu die Forderung auf: „Hören Sie auf, darüber zu streiten, wer recht hat: Erforschen Sie Ihre kontroversen Geschichten“ Stone et al. Offen gesagt!, 53 ff.
  6.   zum Beispiel durch ‚Ich-Botschaften‘
  7.   Die Akzeptanz der Gefühle ist im Harvard-Konzept der Konfliktlösung ein wichtiges Element.
  8.   Dies ist auch eine zentrale Forderung im Harvard-Gesprächs-Projekt, vgl. Stone et al. Offen gesagt!, 77 ff.
  9.   „Bestenfalls“ deswegen, weil wir oft leichtfertig sagen „Das habe ich nicht gewollt.“, „Das war nicht meine Absicht.“ „So war es nicht gemeint“ oder ähnliches. Wenn wir dann genauer nachforschen kommen wir vielleicht drauf, dass uns eine Handlung oder eine Aussage des Kontrahenten geärgert hat und daher unsere verletzende Handlung gar nicht so zufällig bzw. unbeabsichtigt war.
  10. Dies hat wird auch in der ‚Praxisliteratur‘ betont. Vgl. z. B. Lukas Niedernberger: Am liebsten beides. Patmos, Kap. 13
  11.    Roger Fisher, William Ury, Bruce M. Patton (Hrsg.): Das Harvard-Konzept.  
  12.    Vgl. Roger Fisher, William Ury, Bruce M. Patton (Hrsg.): Das Harvard-Konzept. S. 43ff 

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