Ich habe gerade den für den Cannes-prämierten und Auslands-Oscar nominierten Film ‚Tony Erdmann‚ gesehen, ein Film von Maren Ade. Es ist ein Film, der nicht unberührt lässt. Aus meiner Sicht ist es
- ein Entwicklungsfilm,
- ein Film zur Familiendynamik,
- aber auch ein gesellschaftskritischer Film.
Ein Film der Tränen lachen lässt, wie auch ein Zeit-Artikel Tränen gelacht und ein bisschen gegruselt feststellt, aber auch skurille, peinliche Momente enthält, Momente einer Vater-Tochter-Beziehung. Und ein Film, der zu Tränen rühren kann, besonders für Väter mit Töchtern und vielleicht auch für Töchter, besonders für Vater-Töchter (beschrieben im Buch von Verena Kast) und besonders für Töchter, die ihren Vater als ‚peinlich‚ erlebt haben und Väter, die als peinlich erlebt wurden.
Nicht zuletzt enthält der Film auch philosophische Aspekte über den Sinn des Lebens bzw. der Frage, was man lebenswert findet.
Toni Erdmann ist das Alter-Ego von Winfried (Peter Simonischek), einem 65-jährigen pensionierten, allein lebenden Musiklehrer, der skurillen Scherzen nicht abgeneigt ist. Seine Tochter Ines (Sandra Hüller) arbeitet als ehrgeizige Unternehmensberaterin in einem multinationalen Unternehmen und macht ein Projekt in Bukarest, wohnt auch dort. Als sein Hund stirbt, taucht eines Tages Toni Erdmann unvermutet und unangemeldet in Bukarest bei seiner Tochter auf und mischt sich in ihr Leben, beruflich und privat. Das verursacht seiner Tochter äußerst peinliche Momente, die oft auch sehr lustig sind und letztendlich zu einer persönlichen Entwicklung der Tochter, aber auch des Vaters führen und der Tochter auch die Bedeutung der familiären Wurzeln bewusst macht.
Vor allem drei Szenen am Ende des Films bringen die Entwicklung der Tochter zum Ausdruck: Der Besuch einer rumänischen Familie, ein Geburtstagsfest und eine Trauerfeier.Sie verlässt ihre kühle, intellektuelle, ehrgeizige Maske, hat den Mut, sich selbst peinlich zu machen, findet zu sich und ihrer Würde und beginnt sich selbst zu akzeptieren und zu lieben. Im Film ist das einer der Höhepunkte aus meiner Sicht, als sie das Lied von Whitney Houston ‚Greatest Love of All‘ singt, in dem es heißt:
Because the greatest love of all Is happening to me
I found the greatest love of all inside of me.
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Und am Ende akzeptiert sie nicht nur sich selbst, sondern auch die Zugehörigkeit zu ihrer Familie.Sie setzt sich den Hut ihrer verstorbenen Großmuter auf und nimmt die falschen Zähne ihres Vaters.
Der gesellschaftskritische Aspekt des Films zeigt sich vor allem in den Hinweisen auf die Arbeitsweise von Industrie- und Beraerfirmen und ihren Führungskräften. Die Neue Züricher Zeitung nennt sie die „Vampirwelt des modernen Turbokapitalismus, den Maren Ade in allen Nuancen der Ausbeutungs- und Abhängigkeitsmechanismen zeigt“
Eine Zusammenfassung des Films gibt Toni Erdmann selbst im Schlussteil des Films, als einer Frau, die ihn eingeladen hat in Bukarest erzählt:
„I am here for holidays, visiting Miss Schnuck. She’s my daughter. And I came to see, how it is here and how she lives. And it’s very complicated.“ Und die Frau antwortet: „I know. Family!“